Passt das „Kunde sein“ überhaupt in das deutsche Gesundheitswesen? Können und dürfen sich Therapeuten, Mediziner oder andere Leistungserbringer dieser kniffeligen Frage überhaupt stellen?
Diese Problematik wurde noch im letzten Jahrtausend kontrovers diskutiert. Aber aktuell darf kein Therapeut oder medizinischer Dienstleister diese These in Frage stellen oder sich sogar dagegen stemmen. Es ist zwischenzeitlich glasklar, möchte der Therapeut wirtschaftlich unabhängiger sein, das aus einem Patienten demzufolge ein Kunde wird. Und auch der Patient profitiert von diesem individuellen Zusatzangebot. Die therapeutische Leistung wird dadurch unterstützt und die Ursache der körperlichen Einschränkung intensiver und langfristiger behandelt. Somit werden der Therapieerfolg und der Gesundheitszustand verbessert und der Leidensdruck des Patienten entsprechend verringert. Unisono profitiert jede Seite von diesen Maßnahmen.
Grundsätzlich gehört der Gesundheitssektor zum größten Wirtschaftszweig aller Industriestaaten und der Gesundheitsmarkt boomt wie selten zuvor (Quelle: Deutschland Report 2030, Prognos AG). Besonders der zweite Gesundheitsmarkt entwickelt sich exorbitant. Unter dem zweiten Gesundheitsmarkt versteht man Produkte und Dienstleistungen, die privat und nicht als eine GKV-Leistung finanziert werden. Und die Wachstumsrate in diesem Bereich ist weiterhin gleichbleibend hoch. Die Eigenverantwortung von Patienten steht in vielen Bereichen des Gesundheitswesens immer weiter im Vordergrund und wächst zunehmend. Durch das ausgedehnte Leistungsgemenge auf dem Fitness- und Gesundheitsmarkt können die Patienten / Kunden aus vielen Produkten und Dienstleistungen wählen. Jedoch sind hier viele Verbraucher auch überfordert von diesem Quantum an Möglichkeiten. Vergleichbar vielleicht mit dem Kauf eines Laptops oder Mobiltelefon, irren viele potentielle Kunden im Wirrwarr der Angebotspaletten und können nicht wirklich die (Gesundheits)Leistungen transparent gegenüberstellen. So kommen andere Parameter ins Spiel. Trotz einer modernen Informationsgesellschaft steht der „Kanal“ der Mund-zu-Mund-Propaganda immer noch sehr weit oben. Die Empfehlung im persönlichen Gespräch kann wohl kein anderes Medium toppen. Bewertungen aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis auf Internetplattformen, Foren oder Einträge in Soziale Medien werden immer gewichtiger. Das Pfund, mit welchem die Therapeuten dann wuchern können: die therapeutische Leistung aus dem ersten Gesundheitsmarkt (z. B. Rezept) steht am Anfang eines gemeinsamen Weges. Das Vertrauen des Gesundheitskonsumenten in den therapeutischen Leistungserbringer ist bereits vorhanden, da der Patient mit dem Rezept zum Therapeuten gekommen ist und sich Heilung durch dessen Hände Arbeit verspricht und im besten Fall erlangt.
Von diesem Zeitpunkt an wird man mit „IGeL“ konfrontiert, die sogenannten Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL). Die Möglichkeit, EMS als therapieergänzendes Mittel und / oder als Leistung in der Anschlussbehandlung zum Einsatz zu bringen, ist uneingeschränkt gegeben. Somit kann der Therapeut einen potentiellen und zwischenzeitlich bekannten Trend aus dem Fitnessmarkt aufnehmen und für seinen Fachbereich qualifiziert nutzen. Die physiotherapeutische Praxis kennt seit jeher die Zweckmäßigkeit der Elektrotherapie. Im Gegenzug befasst sich der Fitnessmarkt seit über zehn Jahren mit der Stimulation der Skelettmuskulatur mittels solcher Spezialgeräte. Jedoch haben beide Seiten den flankierenden Effekt und die Schnittmengen dieses Produkts noch nicht ganz verinnerlicht. Und genau hier trifft das medizinisch – therapeutische EMS den Puls der Zeit und ergänzt den etablierten Therapieplan. (siehe Schaubild)
Weiterbildung EMS-Therapie – Indikation Rücken
In der Weiterbildung werden zunächst alle notwendigen Grundlagen für das therapeutische Arbeiten mittels EMS dargestellt. Ausgehend von elektrophysikalischen sowie indikationsspezifischen Problematiken werden konkrete Anwendungen im therapeutischen Kontext vermittelt. Es findet eine Integration verschiedener Methoden und Maßnahmen statt, von Mess- und Testverfahren ergänzt. Für Physio- und Sporttherapeuten ist der erste halbe Tag optional und kann freiwillig belegt werden. Hier werden die Befunderhebung, die Untersuchung sowie ein Patienten-Screening vorgestellt.
Verpflichtend für alle Teilnehmer am Therapie-Lehrgang ist im Vorfeld die Absolvierung am Lehrgang EMS-Trainer, wie ihn beispielsweise das Gluckerkolleg (www.gluckerkolleg.de) anbietet.
EMS-Therapie – Termine 2017
Lehrabschnitt 1 (5UE)
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Für EMS-Trainer ohne therapeutische Berufsqualifikation verpflichtend!
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Für EMS-Trainer mit therapeutischer Berufsqualifikation (Sport- und / oder Physiotherapie u.s.w.) freiwillig!
Der Stoff des ersten halben Tages der Ausbildung richtet sich zunächst nach dem Wissensstand und beinhaltet medizinische Grundlagen und therapeutisches Basiswissen:
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Befunderhebung
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Aufbau und Funktion des Nervensystems
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Wundheilungsphasen
Lehrabschnitt 2 (20 UE)
Ausgehend von elektrophysikalischen und indikationsspezifischen Problematiken werden konkrete Anwendungen im therapeutischen Kontext (z. B. Facettengelenksstörungen, Bandscheibenläsionen, chronische Rückenschmerzen, etc.) vermittelt.
Es findet eine Integration verschiedener Methoden und Maßnahmen statt (z. B. Medizinische Trainingstherapie, myofasziale Ansätze, etc.). Weiterhin werden Mess- und Testverfahren (Laktatdiagnostik, ABI-Index, Elektromyographie, etc.) zur Sicherstellung eines Therapieergebnisses unterrichtet.
Termine 2017
EMST117 |
Lehrabschnitt 1 |
11.05.2017 |
Lehrabschnitt 2 |
12. / 13.05.2017 |
EMS am Schliersee 02. - 04.06.2017
(nur komplett buchbar: LA1 und LA2)
Die Fortbildung findet in der „Vitalwelt Schliersee“ statt: www.vitalwelt-schliersee.de. Bei Unterkunftswünschen wenden Sie sich bitte direkt an den Tourismusverband Alpenregion Tegernsee Schliersee.
EMST217 |
Lehrabschnitt 1 |
27.09.2017 |
Lehrabschnitt 2 |
28. / 29.09.2017 |
Dr. Katrin Schneider, Leiterin des Fortbildungsinstituts am BK Waldenburg interviewte Hannah Löffler
Hannah Löffler,
ist aktuell, nach ihrem Studium (Bc. Gesundheit und Bewegung) Schülerin im 3. Semester am Berufskolleg Waldenburg sowie erfahrene EMS-Trainerin und EMS-Therapeutin. Die EMS-Therapie wendet sie derzeit in der Physiotherapiepraxis Natura Fit (www.naturafit-online.de) in Kupferzell (Hohenlohekreis) an.
Seit wann arbeitest Du als EMS-Trainerin?
Ich arbeite seit nunmehr viereinhalb Jahren als Trainer in einem EMS-Studio im Odenwald. Davon habe ich nach meinem Studium gut über zwei Jahre hauptberuflich als EMS-Trainer dort gearbeitet. Aktuell absolviere ich meine Ausbildung zur Sporttherapeutin in Waldenburg.
Wie bist du zur EMS-Therapie gekommen und seit wann arbeitest du damit?
Nach dem EMS-Therapie-Lehrgang bei Beisswenger / Sanwald bin seit Oktober 2016 ich in einer Pilotpraxis im Einsatz und arbeite therapeutisch mit den Patienten. Aktuell habe ich so an 2 - 3 Tagen pro Woche ca. 10 - 15 Kunden.
Bei welchen Krankheitsbildern setzt du Ganzkörper-EMS-Therapie derzeit ein?
Das ist unterschiedlich. Es gibt einige Patienten, die aufgrund eines unspezifischen Rückenschmerzes kommen. Ob Bandscheibenvorfälle, Iliosakralgelenksproblematiken, Lumbalsyndrom oder auch einfache Verspannungen, die Palette der Einschränkungen ist vielschichtig. Auch hatte ich schon Kunden im Bereich peripheres Nervensystem oder mit Inkontinenzbeschwerden. Myofasziale Problematiken sowie Gelenksbeschwerden kommen häufig vor.
Was unterscheidet den typischen EMS-Trainings-Kunden und den EMS-Therapie-Kunden?
Auf den ersten Blick ist der Unterschied gar nicht mal so groß, dafür komplexer und diffizil. Der Trainingskunde kommt um ein Fitness- /Krafttraining durchzuführen. Allerdings bringt auch dieser oft individuelle Beschwerdebilder mit, die vorerst behandelt werden sollten. Das ist auch der Grund, warum ich mich überhaupt für die Ausbildung zum EMS-Therapeuten interessiert habe. Schon lange hatte ich das Gefühl mit EMS viel mehr erreichen zu können als im herkömmlichen Training erzielt wird. Viele Kunden haben dennoch immer wieder den Wunsch geäußert, ihre Gesundheit zu verbessern oder Beschwerden gezielt anzugehen. Genau dies wird in der EMS-Therapie umgesetzt. Der Kunde kommt aufgrund einer bestimmten Indikation, die er gerne behandelt hätte. Nicht selten entwickelt sich daraus aber auch der Wunsch nach zusätzlichem Training.
Welche Unterschiede gibt es zwischen EMS-Training und therapeutischen EMS-Behandlungen?
Zu allererst habe ich fast die doppelte Zeit pro Kunde in der EMS-Therapie. Ich kann vor jeder Einheit eine Kurzanamnese mit Feedback der letzten Einheiten bzw. kleinere Tests und dergleichen durchführen. Auch für ein kurzes Nachgespräch ist immer Zeit. Die Kunden werden individueller behandelt. Dadurch, dass ich in einer Physiotherapiepraxis arbeite, liegt mir eine zuvor gestellte Diagnose und der durchlaufene Therapieplan vor. Ich habe auch immer die Möglichkeit, mit dem behandelten Physio Rücksprache zu halten. Je nach Indikation wähle ich verschiedene Programme (Frequenzen) aus und nutze die Elektroden unterschiedlicher als im konventionelle EMS-Training. Die Übungsausführung variiert stark von hauptsächlich statisch über nur liegend oder stehend bis hin zur Durchführung funktioneller Bewegungsabläufe.
Wem würdest du zu einer EMS-Therapie raten?
Jedem, der unter physischen Einschränkungen leidet und dadurch nicht an herkömmlichen Trainingsangeboten teilnehmen kann oder will. Vor allem im Bereich Rücken, Inkontinenz, Haltungsverbesserung und bestimmten Schmerzsymptomatiken konnte ich bisher schnelle und effektive Erfolge beobachten.
Integration von EMS in die therapeutischen Ausbildungen am Berufskolleg Waldenburg
Schüler der Sport- und Physiotherapieschule sammeln wertvolle Erfahrung für den EMS-Markt – von Ralph Sanwald –
Seit dem Jahre 2015 werden die Schüler/innen am Berufskolleg Waldenburg für die Inhalte im Bereich EMS-Training und EMS-Therapie sensibilisiert. Dies erfolgt in den Unterrichtsfächern Elektrotherapie und Medizinische Trainingstherapie. Hier wird ein elementarer Baustein geschaffen durch das Kennenlernen und Erleben des EMS-Trainings am eigenen Körper. Jede/r Schüler/in soll darüber hinaus die Chance haben, diese Erfahrung regelmäßig im Rahmen der Ausbildung zu machen. „Keiner geht vom Berg, der nicht mindestens einmal selbst mit EMS trainiert hat“, erklärt Ralph Sanwald seine Philosophie. Dies wird durch ein schülergeführtes „Mikrostudio-Konzept“ ermöglicht. Schüler der höheren Semester, die bereits die Fortbildung zum EMS-Trainier und EMS-Therapeuten durchlaufen haben, organisieren hierbei die Termine und übernehmen dann für ihre Mitschüler die Rolle des Trainers bzw. Therapeuten. Für dieses rein Sport- und Physiotherapie-schülerorientierte Mikrostudio stehen aktuell 4 Miha-Bodytec-Geräte und 22 Trainer zur Verfügung, wodurch sichergestellt ist, dass die vielen Trainingsanfragen innerhalb der Schülerschaft auch bedient werden können. Das Erwerben der Zusatzqualifikationen und die Arbeit im Mikrostudio sind weitere wichtige Schritte, um Trainings- bzw. Therapiepraxis zu erlangen und somit als Trainer und Therapeut fachkompetent im verantwortungsvollen Beruf auftreten zu können.
Das gesundheitsorientierte Training steht im „Schüler-Mikro-Studio“ (SMS) stets im Mittelpunkt. Ein hoher Stellenwert wird auf die Übungsauswahl, die exakte Durchführung sowie die passende didaktisch-methodische Vermittlung gelegt. Belastungskomponenten des EMS-Trainings werden umfassend eingesetzt und variiert. Die Trainingskonzeptionen orientieren sich häufig an einer therapeutischen Übungsauswahl und entsprechen damit der Positionierung der EMS-Therapie zwischen Prävention und Therapie. Des Weiteren werden durch Zulassungs- und Projektarbeiten therapeutische Aspekte beleuchtet und in Form von Vorstudien [vgl. Kasten: „Effektivität einer therapeutischen EMS-Intervention bei Patientinnen mit postpartaler Rectusdiastase“] untersucht. Die Schülerinnen und Schüler der unterschiedlichen Ausbildungsgänge nutzen hier die Kompetenz der Lehrkräfte, die Infrastruktur und die interdisziplinäre Zusammenarbeit beider Bereiche.
So entstanden aktuell zwei Zulassungsarbeiten mit folgenden Inhalten und Themen:
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Ganzkörper-EMS und die Auswirkungen auf die Halte- und Stütz-muskulatur (Hausmann, Philip, Berufskolleg Waldenburg, 2017)
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Therapeutische Möglichkeiten des EMS-Ganzkörpertrainings im Bereich der Rückenrehabilitation mit Spezialisierung aufden myofaszialen Bereich der LWS (Kempf, Jessica, Berufskolleg Waldenburg, 2017)
Die Argumente für eine Arbeit mit EMS in der Therapie und Rehabilitation sind vielfältig. Die typischen Schlagworte des Fitness-Marketings: „Hocheffektiv, zeitsparend und gelenkschonend“ sind auch hier treffend. Ergänzen könnte man jedoch auch: „Aktivierend und motivierend“. EMS stellt somit eine hervorragende Möglichkeit dar, therapeutische Techniken wirkungsvoll zu unterstützen. Das anspruchsvolle Ziel einer Therapie ist die Heilung, getreu dem Motto: „Wer heilt hat recht“ und der Einsatz des EMS ist eine ergänzende Chance dieses hehre Ziel zu erreichen.
Erfolgreiche EMS-Therapie – Studie zum Thema „Rectusdiastase“
Effektivität einer therapeutischen EMS-Intervention bei Patientinnen mit postpartaler Rectusdiastase
– von Thomas Beisswenger –
Unter Mithilfe von EMS-Referent Thomas Beisswenger beschäftigte sich das 5. Semester der Physiotherapieausbildung am Berufskolleg Waldenburg im Rahmen einer Projektarbeit mit dem Thema der therapeutischen Anwendung des EMS.
Inhalt des Projektes war eine Vorstudie zum Thema „Der Einfluss einer standardisierten EMS -Therapie auf eine bestehende Rectusdiastase“. An der Vorstudie nahmen 24 Frauen im Alter zwischen 25 und 57 teil. Bei allen teilnehmenden Frauen konnten Verbesserungen gemessen werden, im Extremfall um über 5 cm.
Die genauen Ergebnisse der Studie werden auf der Therapiemesse Leipzig (März 2017) sowie der FIBO in Köln (April 2017) vorgestellt.
Die von den Schülerinnen und Schülern durchgeführte Studie stellt den Startschuss zu weiteren Studien im Bereich der therapeutischen Anwendung der Ganzkörper-EMS dar. In Planung befinden sich Studien zum Thema Beckenboden, Lymphologie, Phlebologie, Orthopädie.