Institut für Medizinische Physik (IMP), Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg

Ganzkörper-Elektromyostimulation als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung

Basierend auf knapp 20-jähriger Erfahrung im Bereich humaner Interventionsstudien mit hohen messtechnischen Standards widmet sich unsere Abteilung am Institut für Medizinische Physik der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg verstärkt dem Spannungsfeld „innovative Trainings- und Rehabilitationstechnologien“. Aufgrund der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten haben wir die Ganzkörper-Elektromyostimulation (WB-EMS) sehr früh in den Blickpunkt unseres Forschungsinteresses gerückt. Ausdruck dieses Interesses waren eine Vielzahl von Trainingsstudien, die nicht nur unterschiedliche aktuelle Fragestellungen und Problematiken des WB-EMS, sondern auch verschiedene Personengruppen für die ein WB-EMS besonders interessant oder sinnvoll erscheint, adressierten.

 

Die nachfolgende Übersicht möchten wir einigen, unserer Ansicht nach, besonders interessanten Fragestellungen wie (1) WB-EMS mit Senioren, (2) der Streitfrage niedrig- versus mittel-frequente Stimulation, (3) Kombination mit Ausdauertraining, (4) mögliche akute gesundheitliche Konsequenzen bei grob fahrlässiger Anwendung und (5) WB-EMS-Effekte auf Körperzusammensetzung und Kraft im Vergleich mit dem (ähnlich zeiteffektiven) HIT-Krafttraining, widmen. Wir versuchten dabei, den Leser möglichst eng „mitzunehmen“ und an unseren Gedanken und Beweggründen teilhaben zu lassen.

 

(1) Untersuchungen mit Senioren

Als Forschungsabteilung für muskuloskelettale Erkrankungen beschäftigen wir uns nicht nur, aber bevorzugt, mit den Auswirkungen eines körperlichen Trainings auf Muskel- und Knochengrößen beim älteren Menschen. Schon bei der Rekrutierung der Studiengruppe hat man oft das Gefühl überwiegend die Personen zu erreichen, die ohnehin schon Sport treiben –  ein Gespür, das sich bei den Eingangstests der Untersuchungen oft bestätigt. Tatsächlich zeigt ein Blick in die Statistik, dass nur eine Minderheit (30 %) von (älteren) Menschen in einem Maß aktiv ist, das positive Auswirkungen auf Muskel und Knochen verspricht. Insbesondere bei lebenslang „sportabstinenten“ Menschen ist der Enthusiasmus, noch in höherem Lebensalter mit der nötigen Intensität und Häufigkeit mit konventionellen Trainingsprogrammen beginnen zu wollen (oder zu können!), verständlicherweise gering.

 

Alternative Trainingstechnologien wie bspw. Ganzkörper-Elektro-
myostimulation (WB-EMS) könnten aufgrund ihres gelenkschonenden, zeiteffektiven und relativ exklusiven Ansatzes eine Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Prävention und Therapie sein.  

 

Um die Effektivität, Anwendbarkeit und Attraktivität von WB-EMS bei älteren, leistungsschwachen und wenig sportaffinen Menschen zu untersuchen, führten wir die Training und ElektromyoStimulations Trial (TEST) Studienreihe durch. Innerhalb dieser Studienreihe adressierten wir zunehmend mehr auf leistungsschwache und sportabstinente Menschen in höherem Lebensalter (60-90 J.) über randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) mit „Golden Standard“ Messtechnik, also Untersuchungen mit hoher Studienqualität.

 

In der ersten Untersuchung (TEST I) wählten wir Frauen (60+) mit langjähriger Erfahrung im Kraftsportbereich aus. Der Hintergrund war dabei, zunächst die Machbarkeit, Akzeptanz und Effektivität der Maßnahme (WB-EMS, 1,5x20 min/Wo., 14 Wo.)  bei Frauen mit (kraft-)sportlicher Erfahrung, guter Belastbarkeit und gutem Körpergefühl zu evaluieren. Zusammenfassend zeigten sich neben einer hohen Akzeptanz und Bindung (signifikante) Verbesserungen der Muskelmasse, des Körperfetts, der Muskelkraft und -leistung (“Power“) im Vergleich zu der (nur) konventionell weitertrainierenden Gruppe.
Positiv fiel ebenfalls die problemlose Durchführbarkeit eines WB-EMS Trainings im Rahmen eines „universitären Sportvereins“ auf. 

 

Durch die positiven Ergebnisse von TEST I wagten wir uns in der TEST II-Studie an die wesentlich „kritischere“ Studiengruppe untrainierter und körperlich inaktiver Männer (65+) mit kardiometabolischen Erkrankungen und abdominaler Adipositas. Zentrales Studienziel war die Erhöhung der fettfreien Körpermasse und die Reduktion des gesamten und des kardiometabolisch besonders negativ wirkenden abdominalen Körperfetts. Nach 14-wöchiger WB-EMS (1,5x20min/Wo.) konnten wir (signifikante) Unterschiede für die fettfreie Muskelmasse und den Gesamtkörperfettgehalt sowie (tendenziell) für das abdominale Körperfett im Vergleich zur Kontrollgruppe (Vibrationstraining, 2x15 min/Wo.) nachweisen. Keine wesentlichen Effekte zeigten sich allerdings auf Laborgrößen (bspw. Cholesterin) oder Blutdruck. Auch in dieser Untersuchung zeigte sich neben hoch relevanten Verbesserungen von Kraft und Power eine hohe Attraktivität und Akzeptanz der Maßnahme.

 

Das noch vulnerablere Kollektiv körperlich inaktiver Frauen (70+) mit niedriger Muskelmasse und Knochendichte adressierten wir in der sehr aufwändigen TEST III-Studie. Das zentrale Ziel von TEST III war die Verbesserung von Muskelmasse und Knochendichte im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (leichtes funktionsgymnastisches Training). TEST III zeigte nach einjähriger Interventionsdauer (WB-EMS, 1,5x20 min/Wo.) hochrelevante Verbesserungen der Muskelmasse/-funktion und des Körperfettgehaltes; die Effekte auf die Knochendichte waren zwar signifikant, aber, im Vergleich zur Muskelmasse, eher unspektakulär im Bereich der Ergebnisse, die im Mittel für die Ganzkörpervibration berichtet werden. Ausgehend von einer engen „Muskel-Knochen-Interaktion“ hatten wir hier deutlichere Ergebnisse erwartet. Das Fazit von TEST III fällt insgesamt jedoch sehr positiv aus, nicht zuletzt, da wir (wie zuvor) eine hohe Bindung im Sinne geringer Aussteigerraten und hoher Anwesenheit erfassen konnten. 

 

Die TEST IV-Studie mit Bezug auf WB-EMS-induzierten Energieaufwand und kardiometabolische Effekte wird an anderer Stelle präsentiert (s.u.), sodass wir an dieser Stelle etwas ausführlicher auf die TEST V (bzw. FORMOsA) Studie eingehen können. TEST V adressierte das besonders kritische Kollektiv selbstständig lebender älterer Frauen (70+) mit einer „Sarcopenic Obesity“, also Menschen mit sehr geringer Muskelmasse/-funktion (Sarkopenie) bei gleichzeitig hohem Körperfettgehalt (Obesity=Adipositas). In Anbetracht der vermeintlichen funktionellen Limitationen dieser Gruppe verzichteten wir auf die (leichten) EMS-begleitenden Körperübungen im Stehen und führten die EMS-Applikation komplett im Liegen durch. Eine vorhergehende Pilotstudie belegte, dass eine aktive WB-EMS-Applikation, also Bewegung während der Impulsphase (im Liegen), signifikant höhere Effekte auf „Power“, Muskelkraft und -masse ausübt als eine rein passive Anwendung. In diesem sehr leistungsschwachen Kollektiv zeigte jedoch auch die passive WB-EMS-Applikation im Liegen bereits eine hochrelevante Verbesserung der Kraft und Power. Nach 6-monatiger Interventionsdauer (WB-EMS, 1x20min/Wo.) von TEST V konnten wir eine hochrelevante Verbesserung des Sarkopenieindexes erfassen, die primär auf einer Erhöhung der Muskelmasse und etwas weniger deutlich auf der Steigerung der funktionellen Kapazität (Gehgeschwindigkeit, Kraft) basierte. Bei einer relativ hohen basalen Eiweißaufnahme (1g/kg/Körpermasse) waren diese Effekte übrigens unabhängig von einer begleitenden Eiweißgabe von ca. 0,4 g/kg/Körpergewicht. Keine signifikanten Effekte zeigten sich auf das gesamte oder abdominale Fett, obwohl bei einem Körperfettgehalt von über 35 % sowohl Potenzial wie auch Bedarf bestanden hätte. Überraschenderweise konnten wir im Gegensatz zu TEST III für weitere kardiometabolische Risikofaktoren, die wir über das „Metabolische Syndrom“ operationalisierten, hochrelevante, signifikante Verbesserungen nachweisen. Aus TEST V ziehen wir gleichwohl die Lehre, dass ein Training im Liegen, auch bei adjuvanter Bewegungsausführung, für die Entwicklung der für den Älteren so wichtigen funktionellen Größen „Kraft“, „Power“, „Gleichgewicht“ und „Gehgeschwindigkeit“ suboptimal ist und nur bei entsprechend limitierten Personen durchgeführt werden sollte.  

 

Obwohl es aus den genannten Gründen eigentlich müßig ist, die Effekte von WB-EMS mit klassischen (Kraft-)Trainingsprotokollen für ältere Menschen gegenüberstellen, ist dieser Vergleich reizvoll. Zieht man die vorliegende Literatur heran, so zeigen zumindest intensive (Kraft-)Trainingsprotokolle im Mittel etwas weniger günstige Ergebnisse als WB-EMS. Bezogen auf die Muskelkraft scheint ein konventionelles Muskeltraining ebenfalls etwas höhere Auslenkungen der Maximalkraft und deutlich höhere Auslenkungen der „Power“ (also Leistung bzw. Schnellkraft) zu bewirken. Ungefähr vergleichbar liegen die Effekte auf der Reduktion der Körperfettmasse, wobei das deutlich höhere Trainingsvolumen konventioneller Programme berücksichtigt werden muss. Unstrittig ist die Überlegenheit konventioneller sportlicher Trainingsprogramme für den Endpunkt „Knochendichte“, bei dem die Effekte eines WB-EMS Trainings ungefähr im Bereich eines Ganzkörpervibrationstrainings liegen. 

 

Als Fazit unserer TEST Studienreihe konstatieren wir, dass WB-EMS für ältere Menschen,  die aus unterschiedlichen Gründen ein konventionelles Körpertraining nicht mehr durchführen können oder möchten, eine Option zur eigenverantwortlichen Prävention und Therapie darstellen kann. Zwar sind die Wirkeffekte etwas weniger umfassend (bspw. Ausdaueraspekt), doch sind die Barrieren, die eine überdauernde Trainingsdurchführung limitieren (bspw. Zeitaspekt!), eher niederschwelliger. Zusätzlich wird WB-EMS von den Teilnehmern als grundsätzlich attraktive, applikable und effiziente Trainingsmethode eingeschätzt, für die bei Wahrung der Ausschlusskriterien, sorgfältiger Vorbereitung und gewissenhafter Durchführung (s.u.) keine wesentlichen Risikofaktoren bekannt sind. Insofern kann WB-EMS nach derzeitigem Stand der Forschung als zeiteffektive Option zur eigenverantwortlichen, muskuloskelettalen Prophylaxe und Verbesserung der funktionellen Kapazität angesehen werden.

 

(2) Unterschiedliche Frequenzen beim WB-EMS-Training; was ist gesichert?

Recherchiert man im Internet zum Thema Ganzkörper-Elektromyostimulation, so stößt man schnell auf Werbebotschaften zur Überlegenheit sogenannter modulierter mittel-frequenter (≈2 Hz) (MET) gegenüber nieder-frequenter EMS (≈<100 Hz). Die angeführten Wirkmechanismen klingen zunächst plausibel und basieren auf Erfahrungen der Reizstromtherapie. Modulierte mittel-frequente Ströme finden demnach v.a. im Bereich „Therapie“ Einsatz, da sie bei bestimmten Erkrankungen hinsichtlich der Muskelaktivierung Vorteile bieten und ferner scheinbar (s.u.) mit einer reduzierten sensiblen Belastung (Schmerz!) verbunden sind. Hinsichtlich ihrer Effektivität bezüglich „Muskeltraining“ bei gesunden Menschen wird diese Stromform jedoch durchaus kontrovers diskutiert. 

 

Als Wissenschaftler wollten wir diese Frage ideologiefrei angehen und haben uns schlicht auf die vorliegende wissenschaftliche Literatur bezogen. Zusammenfassend finden sich nach aufwändiger Suche in den einschlägigen wissenschaftlichen Literaturdatenbanken (bspw. Medline, PEDro) lediglich 5 Untersuchungen, die einen direkten Vergleich von niedrig- vs. mittel-frequenter (lokaler) EMS vornehmen. Die einzige Untersuchung, die diese Frage im Längsschnitt über drei Wochen untersucht (Stefanovska et al.), zeigt nach nieder-frequenter EMS-Applikation (25 Hz) für die Kraft der Beinstrecker nahezu den doppelten Kraftzuwachs als nach einem Training mit modulierter Mittelfrequenz (2500Hz/25Hz). Alle weiteren (cross-
ectionalen) Untersuchungen zeigen mit Ausnahme einer Untersuchung, bei der vergleichbare Effekte erfasst wurden, jeweils günstigere Auswirkungen der nieder-frequenten EMS-Applikation auf akute Kraftentwicklung und Ermüdung. Keine einheitlichen Ergebnisse zeigen die vorliegenden Untersuchungen für den „sensiblen Diskomfort“, also das Schmerzempfinden unter EMS-Applikation. 

 

Zusammenfassend stellen wir fest, dass basierend auf der vorliegenden Literatur von einer Überlegenheit der MET keine Rede sein kann. Mehr noch, belastbare Daten aus qualitativ hochwertigen Untersuchungen liegen im krassen Gegensatz zur nieder-frequenten EMS-Applikationsform je nach Zielgröße kaum oder gar nicht vor. Dies schließt positive Effekte der MET, wie sie von Trainingspraktikern vielfach berichtet werden, natürlich nicht aus; mit der Postulierung einer Überlegenheit der MET begibt man sich jedoch aus der Sicht guter und evidenzbasierter Forschung auf „sehr dünnes Eis“.

 

(3) Kombination von WB-EMS mit einem Ausdauertraining 

Eine Kombination beider Trainingsmethoden, WB-EMS und Ausdauertraining, wird von vielen Sportpraktikern genutzt, um verstärkt Effekte auf das kardiovaskuläre System und insbesondere auf die Körperfettreduktion zu generieren. Adressiert man zunächst die erstgenannte Wirkung, so liegt eine Studie (Fritzsche et al.) vor, die den Einfluss eines konventionellen Niederfrequenztrainings (s.o.; allerdings im Stehen) auf kardiale und funktionelle Größen bei Herzinsuffizienz-Patienten evaluierte. Die Autoren weisen nach 6-monatiger Studiendauer eine Optimierung muskelphysiologischer und metabolischer Parameter nach, welche „die Ergebnisse nach herkömmlichen aeroben Trainingsformen [...] bei Weitem übersteigt“. Eine Kombination aus beiden Methoden (WB-EMS begleitend zum Ausdauertraining) sollte somit optimale Ergebnisse zeigen und ist auch aus der Sicht der Nutzung mobiler WB-EMS Applikation relevant. Im Gegensatz zu Fritzsche et al. konzentrierten wir uns primär auf den Effekt einer kombinierten WB-EMS/Ausdauerintervention auf das Metabolische Syndrom und den Energiestoffwechsel bei Männern mit Übergewicht und Adipositas. Ein Studienziel war es zudem, den für eine dergestalt zeiteffektive Maßnahme wie das WB-EMS (1,5x20 min/Wo.) „erstaunlichen“ Effekt auf die Reduktion des Körperfetts näher zu beleuchten. Zur Erfassung des Energieverbrauchs mit und ohne WB-EMS zogen wir die „Golden Standard“ Methode der indirekten Kalorimetrie (also eine Atemgasanalyse) heran. Zusammenfassend konnte nach einer klassischen 16 min WB-EMS Applikation mit leichten Körperübungen im Stehen (intermittierend, 85 Hz; s.o.) ein signifikanter, nach einem 30 min Ausdauerprogramm (Crosstrainer) mit 60 % der maximalen Sauerstoffaufnahme unter „Dauerstrom“ (7 Hz vs. 85 Hz, je 350 µs) ein tendenziell höherer Energieverbrauch unter EMS-Applikation nachgewiesen werden. Allerdings liegt dieser Energieverbrauch für die klassische EMS-Applikation absolut (107±16 vs. 92±17 kcal/16 min) in einem bedeutungslosen Bereich. Bezogen auf den Ausdauertest am Crosstrainer zeigte die sehr niederfrequente Variante (7 Hz) die deutlichsten Effekte (500±67 vs. 85 Hz: 476±68 vs. kein EMS: 450±60 kcal/30 min). Insbesondere die marginalen Effekte nach klassischer EMS-Applikation kollidieren somit sehr heftig mit den deutlichen Fettreduktionen nach WB-EMS Training. Fasst man in diesem Zusammenhang „nach“, kommen drei Mechanismen für einen EMS-indizierten „Energiemehrverbrauch“ in Frage: (1) der Energiebedarf der akuten Belastung (s.o.), (2) der Nachbrenneffekt im (Stunden-)Bereich nach der Belastung (sog. EPOC) und (3) der erhöhte Ruheumsatz durch die EMS-induzierte Erhöhung der Muskelmasse. Während Punkt 3 eher mittel- und langfristig eine nicht zu unterschätzende Rolle beim Gewichts- respektive „Fettmanagement“ spielt , wird Punkt 2 in seiner Bedeutung meist überschätzt, da Studiendaten den Energiebedarf in der Nachbelastungsphase kumuliert maximal auf 10-15 % der unmittelbaren Belastungsphase schätzen. Ob unsere spirometrische Messung tatsächlich den wahren Energiebedarf während WB-EMS Applikation mit der simultanen Stimulation von ca. 2800 cm2 Körperoberfläche erfassen konnte (Punkt 1), ist methodisch fraglich. Tatsächlich ist indirekte Kalorimetrie wenig geeignet den Energieaufwand von Belastungen mit überwiegend lokaler und anaerober Energiebereitstellung wie bspw. Krafttraining oder WB-EMS valide zu erfassen. Wesentlich aufwändigere Methoden sollten daher diese Fragestellung nochmals adressieren. 

 

(4) Problematik hoher initialer Reizhöhe beim EMS

In einem 2015 erschienenen Spiegel-Online Artikel („Gefährliche Stromstöße“) wurde die Problematik (zu) hoher initialer Reizhöhe (also relativer Stromstärke) besonders bei WB-EMS Einsteigern sehr zutreffend beschrieben: Schwindel, Übelkeit und hohe Kreatinkinase (CK)-Werte mit korrespondierend möglicher Nierenbelastung – das liest sich nicht gerade motivierend für den möglichen Anwender. Was ist tatsächlich „dran“ an den berichteten, schier unglaublich hohen CK Werten nach (zu) intensiver Erstapplikation, eine Problematik, die gerade in unserem Forschungsbereich mit alten vulnerablen Menschen klinische Relevanz haben könnten. Zur Klärung dieser Problematik führten wir eine Untersuchung mit 3 Fragestellungen durch: (1) Sind die CK-Werte nach ausbelasteter WB-EMS Applikation (85 Hz, 20 min, intermittierend s.o.) tatsächlich so hoch wie teilweise in der Literatur berichtet? (2) Hat die dafür ursächliche Rhabdomyolyse (Muskelzerfall) klinische Relevanz beim Gesunden? (3) Führt regelmäßiges WB-EMS-Training zu einer Reduktion der CK Werte auch bei Ausbelastung?

 

Zu Fragestellung 1 erfolgt ein klares „ja“! Tatsächlich konnten wir bei 26 sportlichen Personen (25-50 J.) ohne WB-EMS-Erfahrungen nach ausbelasteter Applikation im Mittel eine 117-fache Erhöhung des CK-Werts im Vergleich zum Ruhewert (170 IE/l), mit Peak nach 3-4 Tagen nachweisen. Der Maximalwert betrug dabei ca. 144.000 IE, ein Ergebnis, das die kürzlich berichtigten, noch deutlich höheren Werte (240.000 IE/l) eines jugendlichen Fußballprofis nach ausbelastetem WB-EMS Training bestätigt. Tatsächlich treffen die genannten Kriterien für eine hohe belastungsinduzierte CK-Auslenkung wie (a) hoher Anteil an Oberkörpermuskulatur, (b) hohes Volumen der beübten Muskulatur, (c) kurze Pausen, (d) hohe Innervationsgeschwindigkeit und (e) hohe Reizintensität bzw. hoher mechanischer Stress in besonders ausgeprägter Weise auf die WB-EMS-Applikation zu. 

 

Frage 2 ist hingegen nicht ganz so leicht zu beantworten. Eine ausgeprägte belastungsinduzierte („exertional“) Rhabdomyolyse, wie sie bei Werten von über 10.000 IE/l bzw. einer über 50-fachen Erhöhung des Ruhewertes angenommen wird, kann mit erheblichen gesundheitlichen Komplikationen in Verbindung stehen. Neben (herz-)muskelrelevanten Problemen durch Hyperkaliämie und Hypokalziämie sowie Leberschädigungen wird in der klinischen Routine nach (trauma-induzierter) Rhabdomyolyse sehr häufig akutes Nierenversagen berichtet. Wir adressierten in diesem Zusammenhang neben Größen der Rhabdomyolyse (bspw. Myoglobin), Elektrolyten (bspw. Kalium, Calcium) und Nierengrößen wie Kreatininkonzentration, glomuläre Filtrationrate sowie Eiweiß und Blut im Urin. Bezogen auf die Elektrolyte zeigten sich keine Auffälligkeiten, auch die Nierengößen (s.o.) und das Urin zeigte trotz des 40-fachen Anstiegs des als besonders „nephrotoxischen“ geltenden Myoglobins keine wesentlichen Auffälligkeiten. Somit Entwarnung? Ganz sicher nicht, unsere Studienteilnehmer waren alle gesund, erholt, leistungsfähig und wurden medizinisch sehr eng betreut. Dies schloss eine angemessene Flüssigkeitszufuhr (Niere!) vor und nach dem Training ein. Inwieweit eine ausbelastete Erstapplikation bei Menschen mit Nierenvorbelastung und schlechter Vorbereitung ähnlich glimpflich abläuft, sei dahingestellt.

 

Frage 3 trägt allerdings zu einer deutlicheren Entspannung des Problems hoher CK-Werte nach intensiver WB-EMS Belastung bei. Im Sinne eines „repeated bout effects“ steigt die CK-Konzentration (als Leitkriterium der Rhabdomyolyse) nach 10-wöchigem Training (1x20 min/Wo.) bei den nun adaptierten Probanden auch nach ausbelasteter Applikation lediglich um das 4-5-fache an, also Werte im Bereich eines intensiven konventionellen Krafttrainings. 

Geht man die vorliegende Thematik mit gesundem Menschenverstand an, sollten hohe CK-Werte durch Ausbelastung während der ersten Session oder im „Probetraining“ eigentlich gar nicht vorkommen. Aus der Trainingspraxis wissen wir jedoch, dass gerade wettkampf-/leistungssportlich orientierte Neuanwender mit hoher Belastungstoleranz eine Ausbelastung im Erst-/Probetraining dezidiert einfordern, eine „Bitte“, welcher der dadurch herausgeforderte EMS-Trainer oft gerne nachkommt. Nochmals, WB-EMS ist durch die supramaximale Intensität und den großen Umfang der simultan beübten Muskulatur bei grob fahrlässiger Anwendung in besonderer Weise „geeignet“, eine „exertional rhabdomyolysis“ mit entsprechenden gesundheitlichen Konsequenzen auszulösen. Deswegen sollte im Rahmen einer Konditionierungsphase von 4-6 Wochen ein langsameres Heranführen an höhere relative Stromstärken im Mittelpunkt stehen. 

 

(5) Effektivität des WB-EMS im Vergleich zu konventionellen Krafttrainingsmethoden.

12-fach höherer Effekt eines WB-EMS Trainings verglichen mit einem konventionellen Krafttraining – mal ehrlich, das glaubte auch der überzeugteste WB-EMS Anwender nicht. Tatsächlich entspringt dieser Mythos einer wissenschaftlichen Untersuchung, in der eine 12-fach höhere CK-Konzentration nach WB-EMS verglichen mit einem klassischen Krafttraining berichtet wurde. Inzwischen wissen wir, dass WB-EMS hochrelevante Effekte auf Körperzusammensetzung und funktionelle Kapazität ausübt (s.o.). Die Frage ist jedoch, inwieweit WB-EMS bezüglich dieser Größen mit ähnlich zeiteffektiven Trainingsprotokollen wie dem hochintensiven (Kraft)Training (HIT) konkurrieren kann. Zur Beantwortung dieser Fragestellung führten wir eine Untersuchung mit 30-50-jährigen Männern durch; sicher eines der wenigen Kollektive, für die eine relevante Konkurrenzsituation zwischen WB-EMS und HIT besteht. Das HIT-Training wurde als Einsatztraining bis zur Ausbelastung mit unterschiedlichen Ausbelastungsstrategien zweimal/Woche (12-14 Übungen/Session ≤10-12 Wdh./Übung; ≈30 min/Session), das WB-EMS mit intermittierendem Stromprotokoll (1,5 TE/Wo., 6s Impuls-4s Pause, 85 Hz, 350 µs, rechteckig) und (sehr) leichten Körperübungen über jeweils 4 Monate durchgeführt. Während des Studienzeitraumes wurden keine Veränderung von Ernährung, körperlicher Aktivität oder Sporttreiben zugelassen. Insgesamt konnten wir zum Studienende für beide Gruppen hochrelevante und signifikante Verbesserungen der fettfreien Masse, der appendikulären Muskelmasse, der gesamten und abdominalen Körperfettmasse sowie der Maximalkraft erfassen. Leichte Unterschiede zugunsten der HIT-Gruppe zeigten sich lediglich für die fettfreie Masse, die Muskelmasse der Arme und Beine sowie die Maximalkraft bei Beinextension, während sich die Maximalkraft der Rückenstrecker und der abdominale Körperfettgehalt in der WB-EMS-Gruppe tendenziell etwas besser entwickelte. Dieses Ergebnis überraschte uns, da wir von einer sehr viel deutlicheren Überlegenheit des sehr komplexen und durchdachten HIT ausgegangen waren. 

 

Für Männer in mittlerem Lebensalter erscheinen beide Methodenvarianten, HIT und WB-EMS somit gleichermaßen als attraktive, und effektive Trainingsmethoden zur günstigen Beeinflussung von Fitness, Kraft, Muskelmasse und Körperfett. Bezogen auf die Zeiteffizienz erscheinen beide Methoden für Menschen mit knappen zeitlichen Ressourcen geeignet, wobei der Zeitaufwand des WB-EMS nochmals deutlich (50 %) günstiger liegt. Durch die vergleichsweise geringere Popularität eines HIT bei Frauen könnte WB-EMS insbesondere für diese Gruppe eine gute Möglichkeit darstellen, Fitness und Körperzusammensetzung zeiteffizient zu optimieren. Diese Spekulation, die durch den hohen Anteil weiblicher WB-EMS-Nutzerinnen gestützt wird, sollte allerdings noch durch zukünftige Untersuchungen gesichert werden.

 

Info


 

Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg – Institut für Medizinische Physik

 

Erste Studien zum EMS-Training bereits 2008 – untersucht wurde bisher u. a.

  • die Wirksamkeit von EMS-Training im Seniorenbereich

  • unterschiedliche EMS Frequenzen

  • die Kombination von EMS mit Ausdauertraining

  • gesundheitliche Konsequenzen bei grob fahrlässiger Anwendung von EMS-Training

  • der Vergleich zwischen HIT-Krafttraining und EMS-Training

www.imp.uni-erlangen.de

 

Uni Erlangen Forschungsgruppe

Von links: Prof. Dr. Wolfgang Kemmler, BA Anja Weissenfels, Dipl. Sportwissenschaftler Marc Teschler und Dr. Simon von Stengel

 

Weiterführende Literatur: 

Filipovic, A., et al. (2011). Electromyostimulation--a systematic review of the influence of training regimens and stimulation parameters on effectiveness in electromyostimulation training of selected strength parameters. J Strength Cond Res, 25(11), 3218-3238

Filipovic, A., et al. (2012). Electromyostimulation - A Systematic Review of the Effects of Different EMS Methods on Selected Strength Parameters in Trained and Elite Athletes. J Strength Cond Res, 26(9), 2600-2614

Kemmler, W., et al. (2015a). Effekt von Ganzkörper-Elektromyostimulation „A series of studies“. Osteologie 23(1), 20-29

Kemmler, W., et al. (2015b). Ganzkörper-Elektromyostimulationst versus HIT-Krafttraining - Effekte auf Körperzusammensetzung und Muskelkraft. Dtsch Z Sportmed, 66(12), online 

Kemmler, W., et al. (2015c). [(Very) high Creatinkinase concentration after exertional whole-body electromyostimulation application: health risks and longitudinal adaptations.]. 
Wien Med Wochenschr, 165(21), :427–435

Kemmler, W., et al. (2012). Effect of whole-body electromyostimulation on energy expenditure during exercise.. J Strength Cond Res, 26(1), 240-245

Laufer, Y., et al. (2001). Quadriceps femoris muscle torques and fatigue generated by neuromuscular electrical stimulation with three different waveforms. Phys Ther, 81(7), 1307-1316

Laufer, Y., et al. (2008). Effect of burst frequency and duration of kilohertz-frequency alternating currents and of low-frequency pulsed currents on strength of contraction, muscle fatigue, and perceived discomfort. Phys Ther, 88(10), 1167-1176

Stefanovska, A., et al. (1985). Change in muscle force following electrical stimulation. Dependence on stimulation waveform and frequency. Scand J Rehabil Med, 17(3), 141-146

Ward, A. R., et al. (2006). Wrist extensor torque production and discomfort associated with low-frequency and burst-modulated kilohertz-frequency current. Phys Ther, 86(10), 1360-1367

Ward, A. R. (2009). Electrical stimulation using kilohertz-frequency alternating current. [Review]. Phys Ther, 89(2), 181-190