Das EMS-Training wird unter den Privatanwendern immer beliebter. Die praktische Erfahrung weist es als effektiv und sicher aus. Dennoch: Vorurteile und Halbwissen halten sich hartnäckig in den Köpfen. Tatsächlich sind die Wirkungen von EMS-Training sehr gut belegt: Trainingserfolge sind längst nachgewiesen und eventuelle Risiken begrenzt und kalkulierbar. Wer sich also nicht gerne auf Aussagen von Anbietern oder begeisterten Anwendern verlassen möchte, kann heute ohne weiteres aktuelle Studien unabhängiger Institute hinzuziehen.
Seit nunmehr acht Jahren erforscht die Universität Erlangen unter der Leitung von Prof. Dr. Kemmler die Anwendungsmöglichkeiten der Ganzkörper-Elektromyostimulation. In einem Interview im Februar 2017 hat newsystEMS Prof. Dr. Kemmler zur wissenschaftlichen Perspektive zu den Themen Anwendungsgebiet, Risiken und Handlungsempfehlungen des EMS- Trainings befragt.
Herr Professor Dr. Kemmler, wie verhält sich die generelle Effektivität von Ganzkörper-EMS zu anderen (Kraft-)trainingsformen?
Ganzkörper-Elektromyostimulation (WB-EMS) ist tatsächlich klar in Bereich eines Krafttrainings zu verorten. Ein entsprechender Vergleich unserer Arbeitsgruppe mit einem HIT-Protokoll, also einem Einsatztraining bis zur muskulären Ausbelastung (MF+) zeigte vergleichbare Ergebnisse für einen Zuwachs der Muskelmasse, eine Reduktion des Körperfetts, sowie der Kraft der Haltemuskulatur bei etwas ungünstigeren Daten für die Beinkraft. Allerdings war der notwendige Zeiteinsatz zur Erzielung dieser Ergebnisse bei der Ganzkörper-Elektromyostimulation nur halb so hoch.
In der Presse wird in Verbindung mit EMS oftmals von „Training ohne Anstrengung“ gesprochen. Was sagen Sie zu dieser Aussage?
Ich denke diese Aussage trifft so nicht zu. Freilich erledigt bei der derzeitigen fitnessorientierten WB-EMS Methodenvariante die relativ intensive Stromapplikation bei lediglich moderater willkürlicher Belastung scheinbar „den Job“. Wie bei fast allen andern Belastungstypen auch, ist die angemessene Reizhöhe der Belastung, also die (Strom)Intensität des WB-EMS das zentrale Erfolgskriterium. In der Trainingspraxis bedeute dies, dass in enger Interaktion zwischen Trainer und Anwender natürlich eine angemessen hohe Reizintensität appliziert werden muss, die durchaus als „anstrengend“ empfunden werden kann und soll. Gerade bei weniger sportaffinen WB-EMS Anwendern mit entsprechend schwach ausgeprägten Belastungsempfinden, ist dieses Heranführen an eine angemessen hohe Belastung die ganz zentrale „Challenge“ des Trainers.
Kritiker sehen durch die „künstliche“ Aktivierung beim EMS- Training nur die Muskelmasse und weniger die Koordination und die Alltagsfunktionen beeinflusst. Wie sehen Sie das?
Bei einer rein passiven WB-EMS Anwendung trifft dieses Argument zweifellos zu. Tatsächlich sind die hypertrophen Effekte eines passiven WB-EMS auf die Muskelmasse in etwa so hoch wie bei einem dynamischen Training mit geringer Willküraktivierung der Muskulatur. Je komplexer allerdings eine Bewegungsaufgabe wird, desto geringer sind die Effekte eines passiven WB-EMS. In der Trainingspraxis wird WB-EMS daher immer in der Dynamik, also mit zusätzlicher Willküraktivierung durchgeführt. Hier unterscheidet sich übrigens die leistungssportliche von der präventiven / fitnessorientierten Anwendung. Während im Leistungssport eine hohe willkürliche Aktivierung mit einer moderaten Stromintensität vorherrscht, die eine absolut korrekte disziplinspezifische Ausführung der Bewegung erlaubt, steht bei der klassischen fitnessorientierte EMS-Methodenvariante eher die Stromkomponente im Vordergrund. Bei älteren Menschen die neben (funktionellen) Trainingszielen wie allgemeine Koordination oder Alltagsfunktion, auch die Muskel- und Fettmasse positiv beeinflussen müssen, erscheint ein Mischtraining beider Methoden idealerweise periodisiert mit hypertroph orientierten und funktionell orientierten Abschnitten ideal.
Ist EMS-Training gefährlich?
Bei richtiger Anwendung und mit permanenter Betreuung definitiv nein. Bei Beachtung der Kontraindikation, angemessener Vorbereitung auf die Trainingsstunde und vernünftiger Anwendung trainingswissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten ist ein EMS-Training aus metabolischer und muskuloskeletaler Sicht als (noch) sicherer als ein konventionelles Krafttraining an Geräten einzuschätzen. Die in der Vergangenheit berichteten und auch von uns bestätigten „haarsträubend“ hohen Kreatinkinase und Myoglobin-Werte beruhen auf einer völlig überzogenen intensiven Stromapplikation während der initialen Einheiten. In ein konventionelles Krafttraining übersetzt wäre dies, als würde man den Krafttrainingsnovizen in der ersten Trainingseinheit eine HIT-Trainingsprotokoll mit allen ausgefeilten Intensitätsstrategien inklusive betont überschwellige exzentrische Ausführung zumuten – der Unterschied zum WB-EMS ist allerdings, dass nicht maximal 2-3 wie bei Krafttraining sondern alle großen Muskelgruppen simultan aktiviert werden, der Umfang der muskulären Überlastung und Schädigung also ungleich höher ausfällt.
Heute hat sich eine Trainingszeit von max. 20 Minuten und eine Trainingshäufigkeit von 1x pro Woche im EMS-Markt etabliert. Ist das aus Ihrer Sicht ausreichend?
Wir haben in unseren wissenschaftlichen Untersuchungen eine etwas höhere Trainingshäufigkeit von 1,5 x 20 Min / Woche angewandt, also einen Abstand zwischen den Trainingseinheiten von 4 Tagen appliziert. Inwiefern eine etwas geringere Trainingshäufigkeit zu etwas ungünstigeren Effekten führt, haben wir bislang nicht untersucht. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass beim WB-EMS alle Muskelgruppen simultan adressiert werden können ist bei Realisierung einer angemessen intensiven WB-EMS Applikationen eine Trainingsdauer von 20 Min / Session allerdings absolut ausreichend. Wesentlich längere Einheiten und eine höhere Trainingshäufigkeit können zu Überlastungen beitragen. Bezogen auf die Trainingsfrequenz zeigen die Kreatinkinase- bzw- Myoglobinwerte als Messgrößen der muskulären Beanspruchung meist ersten am dritten Tag nach dem WB-EMS-Training Ihre höchste Auslenkung; ein Training zu diesem Zeitpunkt ist daher verfrüht und kann zu einer Akkumulation der muskulären Erschöpfung führen.
Die Universität Erlangen forscht seit fast 10 Jahren im Bereich Ganzkörper-EMS und hat maßgeblich an den Rahmenempfehlungen für einen sicheren Einsatz mitgewirkt. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Verhaltensmaßregeln, die ein Anbieter von EMS-Training beachten muss?
Aus unserer Sicht stehen Effektivität und Sicherheit der Anwendung klar im Vordergrund. Wie bereits oben besprochen ist WB-EMS kein allzeit effektiver Selbstläufer, tatsächlich ist noch mehr als bei anderen Trainingsformen die enge und vertrauensvolle Interaktion zwischen Anwender und Anbieter zur Generierung einer möglichst optimalen Reizhöhe das zentrale Merkmal eines erfolgreichen Trainings. Aus diesem Grund sehen wir bei der Anwendung maximal 2 Trainierende pro Trainer als kritische Grenze. Ohne Trainer sollte auch ein geübter und erfahrener Anwender nicht trainieren. Daneben ist eine angemessene sportwissenschaftliche Ausbildung des Anbieters / Trainers wichtig, um über die in diesem Spannungsfeld anwendbaren Trainingsprinzipien wie bspw. Variationen, Zyklisierung und Periodisierung des Trainings auch langfristig Erfolge zu sichern, bzw. sich verändernde Trainingsziele zu adressieren. In Punkto Sicherheit wurden eine erste Richtlinie herausgegeben, die Aspekte wie Vor- bzw. Nachbereitung des WB-EMS-Trainings, Vorgaben zur Intensitätssteuerung / Ausbelastung und vor allem einer engen Betreuung durch einen gut ausgebildeten Übungsleiter adressiert. In punkto Kontraindikationen ist die Entwicklung sicher noch nicht abgeschlossen. Bspw. wurden Tumorerkrankungen der in der Vergangenheit als absolute Kontraindikation gesehen, nun kommt WB-EMS in wissenschaftlich / klinischen Umfeld dezidiert zur Anwendung. Auf der anderen Seite können Erkrankungen oder Konditionen bei denen die Sensitivität beeinträchtigt sein kann aufgrund einer zu hohen Stromintensität wegen mangelnder Rückmeldung des Anwenders kritisch zu sehen. Hier versprechen wir uns durch Aufklärung und Kooperation mit Ärzten mehr Sicherheit durch bessere Einschätzung des EMS-spezifischen Risikoprofils des Teilnehmers.
Was muss / sollte als Anwender über Ganzkörper-EMS wissen, was sollte ich berücksichtigen, welche Ausschlusskriterien gelten?
Ganz ohne jeden Zweifel ist WB-EMS, richtig angewandt, eine sehr zeiteffiziente Option zur Verbesserung muskuloskeletaler, funktionaler und (etwas weniger prominent) kardiometabolischer Größen. Obwohl die minimale, effektive Dosis der Trainingshäufigkeit / -dauer beim WB-EMS wie bereits besprochen recht gering ist, ist natürlich nur eine regelmäßige und vor allem überdauernde Teilnahme sinnvoll. Ich denke im Verlauf des Interviews hat sich bereits herauskristallisiert, dass WB-EMS eine ernstzunehmende Trainingsform ist, bei der eine ordentliche Vor- aber auch Nachbereitung nötig ist, um effektiv und sicher zu arbeiten. Dies beinhaltet u. a. eine ausreichenden Flüssigkeitsaufnahme vor und unmittelbar nach dem Training, eine angemessene Proteinzufuhr zur Generierung muskulärer Anpassungsprozesse und die Sicherstellung einer guten physischen Situation und Leistungsbereitsschaft für das Training. Elektrische Implantate, Schwangerschaft oder EMS Anwendung im Bereich von Wunden, frischen Narben oder Hernien sind sicherlich als absolute WB-EMS spezifische Ausschlusskriterien zu betrachten. Natürlich besteht beim WB-EMS die Möglichkeit einige Elektronen nicht zu nutzen und so lokal betroffenen Regionen auszusparen. Wie auch immer, bei Unsicherheit ob eine WB-EMS Anwendung möglich ist, muss der mit dem Anbieter idealerweise kooperierende und EMS-kundige Arzt die entscheidende Instanz bleiben. Hier setzt auch die TÜV-Zertifizierung der Betreiber an, die einen kooperierenden, sachkundigen Arzt erfordert – aus unserer Sicht eine echte Verbesserung der Situation.
Oftmals wird EMS-Training als zeitsparendes Training für Besserverdiener adressiert. Sie haben in den vergangenen Jahren Studien mit den unterschiedlichsten Zielgruppen durchgeführt. Wer ist aus Ihrer Sicht die tatsächliche Zielgruppe für Ganzkörper-EMS Training?
Freilich beinhaltet das derzeitige WB-EMS Setting als „Personal Training“ einerseits einen entscheidenden Erfolgs- andererseits einen erheblichen Kostenfaktor; allerdings wird dieser Aspekt über die geringe Trainingshäufigkeit relativiert. Insofern erscheint uns WB-EMS als günstigste PT-Variante überhaupt. Bezüglich des Anwendungskreises ist das WB-EMS als zeiteffektive und gelenkschonende Trainingsmaßnahme mindestens ebenso umfassend applizierbar wie das konventionelle Krafttraining. Wir sehen WB-EMS allerdings überwiegend als Option für Menschen die ein konventionelles, intensives Krafttraining aus verschiedenen Gründen nicht betreiben können oder wollen. Wir haben uns innerhalb unserer Forschungsprojekte zentral auf muskuloskeletale und kardiometabolische Erkrankungen oder Konditionen (meist) höheren Lebensalters spezialisiert. Natürlich sind auch andere Zielgruppen und Anwendungsgebiete vorstellbar und sinnvoll. Hier möchten wir über einen Forschungsverbund mit anderen Einrichtungen die WB-EMS Forschung betreiben, wichtige Anwendungsgebiete identifizieren und in der Zukunft gemeinsam evaluieren. Ich denke die WB-EMS Forschung wird sich in den nächsten Jahren international prominenter entwickeln, sodass wir noch spannende Forschungsergebnisse zu diesem Thema erwarten dürfen.
Kann man durch Ganzkörper-EMS Training abnehmen?
Ja, definitiv - zwar nur moderat, aber umso nachhaltiger. Die Waage zuhause liefert hierfür leider wenige Indizien, da die Reduktion von Körperfett durch die Erhöhung der Muskelmasse nahezu kompensiert wird. Dieser Effekt ist einem intensiven Krafttraining ähnlich, während für ein isoliertes Ausdauertraining oder eine energierestriktive Diät eine Reduktion von Muskel- und Fettmasse im Verhältnis 1-4 bzw. 1-3 berichtet werden. Ich halte es in diesem Zusammenhang für sehr wichtig, dass bei Gewichtsmanagement über Energierestriktion oder Ausdauersport eine muskelerhaltende Komponente berücksichtigt wird. Hier ist WB-EMS mit Sicherheit eine zeiteffektive Option, die idealerweise mit einer kompensatorischen Eiweißgabe kombiniert werden sollte. Adressiert man den Umfang der Körperfettreduktion via regelmäßiger WB-EMS Applikation, so zeigen belastbare Messmethoden einen WB-EMS-induzierten Rückgang der Körperfettmasse im Bereich von 1-1,5 kg nach 10-12 Wochen. Von Relevanz ist, dass dieser Effekt besonders prominent für das abdominale Körperfett auftritt. Die Magnetresonanztomographie zeigt dabei eine überdurchschnittliche Reduktion des kardiometabolisch hochrelevanten intraabdominalen Körperfetts. Zusammenfassend ist die Erhöhung der Muskelmasse bei gleichzeitiger Reduktion der Körperfettmasse also ein zentrales Feature des WB-EMS. Betrachtet man die Pfade, über die WB-EMS auf den Energieumsatz wirkt, so sind durch das geringe nötige Trainingsvolumen des WB-EMS weniger die akute Belastung des WB-EMS als vielmehr die Erhöhung des Grundumsatzes durch Steigerung (und möglicherweise Stoffwechselaktiviertheit) der Muskelmasse sowie ein relativ hoher „Nachbrenneffekt“ durch nötige Regenerations- und Anpassungseffekte des WB-EMS Trainings die relevanten Mechanismen.
Das Herz ist doch auch ein Muskel. Warum wird das Herz von den elektrischen Impulsen der Elektromyostimulation nicht beeinflusst?
Wie jeder Muskel kontrahiert sich auch der Herzmuskel, wenn elektrische Signale die Muskelfasern über eine gewisse Schwelle depolarisieren. Auf diese Weise wird über das autonome Reizleitungssystem das Herz zur rhythmischen Kontraktion gebracht. Grundsätzlich kann also auch der Herzmuskel durch externe Ströme beeinflusst oder gestört werden, wie dies bei einem Stromunfall oder bei einer Wiederbelebung mit einem Defibrillator der Fall sein kann. Im Gegensatz zur Steckdose oder einem Defibrillator, welche sehr hohe Spannungen und Stromstärken erzeugen, wodurch der Strom durch den ganzen Körper fließt, ist bei der WB-EMS die Stromstärke sehr gering und der Stromfluss regional begrenzt. Denn zur Aktivierung der Skelettmuskulatur sind extrem geringe Stromstärken ausreichend. Der Haupteffekt bei der Elektromyostimulation mit niederfrequenten Strömen besteht in der Aktivierung der kleinen motorischen Nervenäste in der Nähe der Elektroden. Werden diese durch den externen Strom über eine bestimmte Schwelle depolarisiert, so erzeugen die Nerven ein Aktionspotential, welches sich selbsttätig in Richtung Muskelfasern fortsetzt und diese aktiviert. Dadurch, dass der externe Strom die körpereigene physiologische Erregungsleitung „anstößt“, wird die Muskulatur auch in der Tiefe aktiviert und zu einer kräftigen Kontraktion angeregt. Es tritt dabei aber kein relevanter Stromfluss außerhalb der Skelettmuskeln durch den Brustkorb zum Herzen auf. Dennoch stellen Herzrhythmusstörungen und insbesondere Herzschrittmacher eine Kontraindikation dar, die aus Gründen der Vorsicht dennoch strikt eingehalten werden sollte.
Functional-Training gilt seit einigen Jahren als hocheffektive Methode, um Fitnessziele schnell und effektiv zu erreichen. Wie sehen Sie hier den Zusammenhang/die Abgrenzung zum EMS-Training?
Der Vergleich ist tatsächlich interessant: Functional Training wird ja oft als das exakte Gegenteil zum WB-EMS dargestellt, da Übungen mit komplexen Bewegungen über mehrere Gelenke und Muskelgruppen im Mittelpunkt stehen, während für WB-EMS zumindest in der Vergangenheit immer der Aspekt der Statik und nicht-Funktionalität im Raum stand. Nun wird modernes WB-EMS selten statisch (s.u.), sondern überwiegend dynamisch appliziert. Wir bevorzugen beim WB-EMS Training alltagsrelevante Bewegungen über mehrere Gelenke und soweit möglich großer Amplitude. Um die nötige überschwellige Intensität zu generieren, bedient sich das Functional Training unterschiedlicher Zusatzbelastungen, im WB-EMS wird die Intensität primär über den Stromimpuls geregelt. Letzter Aspekt trägt zu einer günstigeren orthopädischen Verträglichkeit und geringeren Verletzungsgefahr durch WB-EMS besonders bei Anfängern und athletisch weniger Vortrainierten bei. Letztlich sind beide Trainingsmethoden sicherlich effektiv, aber bezüglich ihrer Ideologie unterschiedlich und einigermaßen inkompatibel. Aspekte wie geringes zeitliches Budget, Gesundheitsorientierung / gesundheitliche Limitationen, geringe Affinität zu konventionellem Training und exzellent dosierbare Intensitätssteuerung sprechen in diesem Zusammenhang für ein WB-EMS Training.
Bei der Durchführung des EMS-Trainings gibt es allerdings unterschiedliche Methoden und Meinungen. Wie wichtig ist die „Übung“ für das Trainingsergebnis?
Die Frage nach der Relevanz der Übung für das Trainingsergebnis hängt ganz maßgeblich vom Trainingsziel ab. Während wir in unseren Untersuchungen mit chronischen Rückenschmerzpatienten statische Übungen oder Bewegungen mit geringer Amplitude (erfolgreich) durchgeführt haben, ist die Relevanz der Übung im Sinne einer Bewegungsausführung für die Funktionalität (s.o.) hoch. Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigte nach 12wöchiger passiver vs. aktiver WB-EMS Applikation in liegender Position, bei relevanter Kraftzuwachsrate in beiden Gruppen, doppelt so hohe Verbesserungen der Muskulatur der Hüft- und Beinstrecker seitens der aktiven Gruppe. Insofern führen wir bei allen Gruppen mit dem primären oder sekundären Trainingsziel leichte Körperübungen durch, die per se überwiegend nicht angemessen sind, muskuläre Anpassungserscheinungen auszulösen. Unsere Kollegen aus dem (Hoch-)Leistungssport verfolgen in diesem Zusammenhang oft eine andere Philosophie. Hier werden oft disziplinspezifische Übungen mit hoher willkürlicher Reizhöhe durchgeführt, die durch adjuvant applizierte WB-EMS nochmals intensiviert werden. Flapsig ausgedrückt macht hier also der Athlet selbst den Großteil des Jobs, während beim klassischen WB-EMS fast ausschließlich die Stromapplikation die Belastung generiert. Als Fazit kann man also ziehen, dass leichte Körperübungen im fitness- und gesundheitsorientierten WB-EMS sicherlich ausreichend sind; komplexe und intensive (Körper-)Übungsformen unter WB-EMS sollten dem Leistungssport vorbehalten bleiben.
Eine Ergänzung zur Frage mit den Übungen. Wie wichtig ist die Verwendung von Zusatzbelastung (TRX, Hanteln etc.) während des Ganzkörper-EMS Trainings?
Also eine Art Kombination aus Functional Training oder Hantel-/Gerätetraining und WB-EMS? Ich denke, diese Option ist mit den wenigen Ausnahmen des Hochleistungssports nicht angemessen, im Extremfall sogar kontraproduktiv. Wie oben bereits angeführt, ist das zentrale Moment des klassischen WB-EMS die Wirkung der Stromapplikation auf die Muskulatur. Um ein möglichst effektives Training zu generieren, muss eine optimale Reizintensität im Sinne einer angemessenen Impulsstärke generiert werden. Wir alle wissen, dass dies nicht ganz trivial ist, sondern idealerweise nur in enger und stetiger Interaktion zwischen Trainer und Trainierendem realisiert werden kann. D.h. der Trainer sollte sich primär um die Intensitätssteuerung kümmern; vice versa muss der Teilnehmer in der Lage sein die Intensität der Stromapplikation richtig rückzumelden; sehr komplexe Körperübungen (s.o.) und/oder Zusatzgewichte sind für diesen Vorgang kontraproduktiv, da der Teilnehmer den bestimmenden Reiz kaum noch zuordnen kann. Letztlich sollte man sich auch auf die Skills und den Anwendungsbereich des WB-EMS rückbesinnen. Als gesundheits- und fitnessorientierte Forschende sehen wir WB-EMS als gelenkschonende und sichere Alternative für Menschen, die aus verschiedenen Gründen eine geringe Affinität zu intensiven Krafttrainingsprotokollen haben.
Prof. Dr. Kemmler
Prof. Dr. Wolfgang Kemler (24.01.64 in Tübingen) ist Forschungsdirektor am Institut für Medizinische Physik der Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Der Trainings- und Sportwissenschaftler gilt als ausgewiesener Experte in der trainingswissenschaftlichen Interventionsforschung sowie im Bereich alternative Trainingstechnologien mit Schwerpunkt Ganzkörper- Elektromyostimulation.