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EMS-Training in der Onkologie bietet Krebspatienten eine innovative Ergänzung zur Bewegungstherapie. Es ermöglicht effektiven Muskelaufbau und gelenkschonendes Krafttraining, selbst während der Therapie. Erste Erfahrungen zeigen Potenzial für die Vorbereitung auf Operationen und den Kampf gegen Gewichts- und Muskelmassenverlust (Kachexie).
Im November 2012 gründeten das Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) Köln Bonn, die Uniklinik Köln und die Deutsche Sporthochschule Köln ein bewegungstherapeutisches Trainingszentrum ausschließlich für onkologische Patienten.
Früher galt für Krebspatienten: möglichst schonen und wenig Belastung. Das ist mittlerweile überholt. Heute sind Mediziner und Wissenschaftler von einem positiven Zusammenhang von körperlicher Aktivität und der Verfassung bzw. Psyche von Krebserkrankten überzeugt. Auf ca. 110 Quadratmetern werden Krebspatienten durch erfahrene und speziell qualifizierte Therapeuten im Rahmen der Versorgung aber auch von wissenschaftlichen Studien trainiert.
Das Besondere an der Onkologischen Trainingstherapie in Köln: Mediziner, Psychologen und Sportwissenschaftler arbeiten unter einem Dach zusammen, und zwar dort, wo die Patienten auch medizinisch betreut werden.
Seit gut einem Jahr kommt neben klassischen Kraft- und Ausdauergeräten auch ein medizinisches EMS-Gerät von miha bodytec zum Einsatz. Prof. Dr. Freerk Baumann zeigt Perspektiven auf:
Funktioniert ein EMS-Training mit Krebspatienten?
Unsere ersten Erfahrungen mit einem Ganzkörper-EMS-Training bei onkologischen Patienten deuten an, dass das Training nicht nur gut umsetzbar sondern auch effektiv im Kraft- und Muskelaufbau ist und damit eine sinnvolle Ergänzung zu herkömmlichen Trainingsmethoden darstellen kann. Das Training ließ sich sehr gut umsetzen bei Patienten vor oder nach abgeschlossener onkologischer Therapie, war aber auch für Patienten unter akuter medizinischer Therapie, wie Chemotherapie oder Bestrahlung möglich. Natürlich bedarf es insbesondere unter akuter Therapie besonderer onkologiespezifisch ausgebildeter Trainer, um auf mögliche Kontraindikationen und Einschränkungen durch die Erkrankung oder Therapie (z. B. niedrige Blutwerte) eingehen zu können. Darüber hinaus ist ein stetiger Dialog mit den Patienten vor, während und nach dem Training obligatorisch.
Das Training an sich sollte in einer 1:1-Betreuung laufen, da onkologische Patienten sehr unterschiedliche Voraussetzungen und Einschränkungen mitbringen. Für ein optimal effektives Training sollten Intensitäten, Übungen und Umfang personalisiert werden. Wir haben festgestellt, dass Patienten im ersten Training mit einem gesunden Maß an Vorsicht an diese neue Trainingsmethode herangehen, sich aber bereits während der ersten Trainingseinheit an die Stromapplikation gewöhnen. So können und sollten die Stromimpulse frühzeitig durch alltagsnahe und funktionale Bewegungen begleitet werden. Bereits beim zweiten Training waren die initialen Hemmungen vor höheren Intensitäten der Strompulse bei vielen Patienten gelöst und die gewünschten Trainingsbereiche zum Muskelaufbau konnten erreicht werden. Das ist ein Vorteil gegenüber vielen herkömmlichen Trainingsformen, wo oftmals zuerst eine ausreichende Bewegungsqualität hergestellt werden muss, um sicher in höheren Intensitäten arbeiten zu können. Beim EMS-Training erfolgt die Regulation der Intensitäten über die Stromapplikation und wird dem Patienten daher passiv zugeführt, was bedeutet, man könnte theoretisch auch ohne besondere Vorkentnisse bereits sehr schnell in hohen Intensitäten trainieren, zumindest was das Muskel- bzw. Kraftaufbautraining angeht. Hier sehe ich auch den primären Ansatzpunkt des EMS-Trainings in der Onkologie. Ein effektives und zeitsparendes Krafttraining, das keiner besonderen Vorkenntnisse seitens der Krebspatienten bedarf. Zudem kann – je nach Ausführungsform – das Training gelenk- und knochenschonend durchgeführt werden, was in der Onkologie im Rahmen von Osteoporose, bruchgefährdeten Knochen und chronischen Gelenkschmerzen von hoher Relevanz sein kann. Für ein Ausdauertraining über EMS-Applikationen sehe ich bisher keinen Ansatzpunkt, da es für mich keine erkennbaren Vorteile zu herkömmlichen Methoden gibt.
Perspektive EMS-Training in der Onkologie
Ich halte das EMS-Training für eine sinnvolle Ergänzung und Erweiterung des bewegungstherapeutischen Repertoires in der Onkologie. Wahrlich eignet sich das EMS-Training nicht für jeden, jedoch gibt es einige Situationen, in denen ein EMS-Training besonderes Potenzial aufweist. Zum einen ist zukünftig zu klären, ob ein EMS-Training effektiver gegenüber einem herkömmlichen Krafttraining ist, um Muskelkraft und -masse zu erhalten bzw. aufzubauen. Der Tumor assoziierte Gewichts- und Muskelmassenverlust (Kachexie) verläuft oftmals rapide und ist schwierig zu behandeln. Ein multimodales Vorgehen mit einem intensivem Krafttraining bei initialem Gewichtsverlust könnte einen Fortgang einer Kachexie eventuell verlangsamen oder aufhalten, gerade durch die schnell zu erreichenden hohen Intensitäten eines EMS-Trainings zum Kraft- und Muskelerhalt bzw. -aufbau. Ein weiteres Potential des EMS-Trainings könnten kurzfristige Interventionen über einen Zeitraum von 2-3 Wochen sein. Das ist oftmals der Zeitrahmen zwischen Diagnosestellung und Therapiebeginn und bietet die Möglichkeit, ein Aufbautraining durchzuführen, um die Patienten bestmöglich für eine Operation oder Chemotherapie vorzubereiten. Hierzu eignen sich ebenfalls schnell zu erlernende und effektive Trainingsmethoden wie das EMS-Training. Diese ersten Eindrücke müssen natürlich noch durch hochwertige Studien aufgezeigt werden. Unsere ersten Erfahrungen zeigen hier jedoch bereits erste positive Tendenzen. Das EMS-Training kann in meinen Augen also bewährte Trainingsmethoden nicht ersetzen, bietet aber eine innovative Ergänzung zum bestehenden bewegungstherapeutischen Kontingent in der Onkologie.
Prof. Dr. Freerk Baumann leitet die Arbeitsgruppe Onkologische Bewegungsmedizin. Das Projekt ist eine Kooperation des Centrums für Integrierte Onkologie der Uniklinik Köln und der Deutschen Sporthochschule Köln und erforscht den positiven Effekt von körperlicher Aktivität in der Behandlung von Krebspatienten.
Literaturverzeichnis:
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