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Ganzkörper EMS-Training bietet Senioren eine sichere, gelenkschonende und effektive Trainingsoption. Studien zeigen positive Effekte auf Muskelmasse, Funktion und Gesundheit. Erfahren Sie mehr über seniorenspezifische Vorteile und Richtlinien.
EMS-Training speziell für Senioren? Spezifische Angebote oder eine gezielte Ansprache für die Zielgruppe Senioren gibt es bislang kaum. Prof. Dr. Wolfgang Kemmler vom Institut für Medizinische Physik an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg wirft die Frage auf, warum das so ist. Die Trainingsmethode Ganzkörper-EMS und die Zielgruppe Senioren passen nämlich auch unter der Lupe der Wissenschaft perfekt zusammen.
„Lieber Herr Kemmler“, sagte die alte Dame auf der Informationsveranstaltung unserer Bewegungsstudie, „jetzt habe ich 50 Jahre keinen Sport mehr betrieben, dann fange ich mit 70 Jahren auch nicht mehr damit an.“ Noch klarer kann die fehlende Bereitschaft und Einsicht einer Vielzahl von „sport-abstinenten“ Senioren, ein regelmäßiges und intensives Körpertraining zu beginnen, nicht in Worte gefasst werden. Der Hinweis, dass ein Körpertraining in jedem Lebensalter effektiv wirkt, wird meist mit Einwänden wie Zeitknappheit, Scham, Schwitzen/Anstrengen, geringer Leistungsfähigkeit, Gelenkschmerzen und fehlender individueller Betreuung „abgebügelt“ – interessanterweise spielt der finanzielle Aspekt nur in seltenen Fällen eine Rolle.
Option für Senioren: Ganzkörper-EMS
Insofern erscheint die Ganzkörper-Elektromyostimulation (WB-EMS) zumindest im derzeit empfohlenen Setting einer engen Betreuung [1], als zeiteffektive, diskrete, gelenkschonende und sichere Option für den älteren, wenig sport-affinen Menschen, eigenverantwortlich Gesundheit und Leistungsfähigkeit positiv zu beeinflussen. Hinzu kommt, dass auch wissenschaftliche Kritiker des WB-EMS grade wenig trainierte, leistungsschwache Personen als geeignetes Kollektiv für das WB-EMS ansehen, eine Einschätzung, die durch eine Vielzahl von Untersuchungen mit älteren Menschen und überwiegend positivem Untersuchungsergebnis [2] bestätigt wird.
Studienlage mit durchweg positiven Ergebnissen
Möchte man die Effektivität einer WB-EMS Anwendung auf Risikofaktoren und Erkrankungen höheren Lebensalters bewerten, so liegen bereits eine ganze Anzahl von evidenzbasierten Untersuchungen im Spannungsfeld vor. Als „resistance-type exercise“ wirkt WB-EMS naturgemäß besonders prominent auf muskuläre Größen ein (Übersicht in [3]). Fokussiert man zunächst auf die Muskelmasse, so zeigen sich neben dem Einfluss auf Muskelfunktion auch eine zentrale Bedeutung im Bereich Grundumsatz [4], höhere Kapillarisierung und maximale Sauerstoffaufnahme [5] und Thermoregulation [6, 7]. Da die Muskelmasse den höchsten Beitrag zum Grundumsatz liefert, spielt die Muskelmasse im Bereich der Adipositas [8] bzw. der Sarcopenic Obesity [9] eine wichtige Rolle. Mehrere Untersuchungen mit älteren Menschen(Übersicht in [3]) zeigen eine signifikante Erhöhung der Muskelmasse im Bereich eines HIT-Krafttrainings [10]. Eine begleitende Proteingabe im Bereich von 1,5-1,7 g/d/kg Körpergewicht verstärkt diesen WB-EMS induzierten Effekt möglicherweise nochmals deutlich [12, 13]. Auch im für den älteren Menschen besonders relevanten Bereich der Muskelfunktion weisen WB-EMS Konzepte mit adjuvanten leichten Bewegungsformen einen hochrelevanten Einfluss auf die Muskelfunktion (Übersicht in [3] auf. Bezogen auf die dynamische Maximalkraft konnten Veränderungen der Kraft im Bereich von 15-25 % nach 12-16 wöchiger WB-EMS Applikation (1,5 x 20 min/Wo.) nachgewiesen werden, die bezogen auf die Kraft der Hüft- und Kniestreckmuskulatur nur leicht unter den korrespondierenden Effekten einer HIT-RT Intervention liegt [10]. Angesichts der sehr positiven Effekte auf die Muskulatur, ist die Wirkung eines WB-EMS Trainings auf die Knochendichte als Surrogat der Frakturwiderstandsfähigkeit weniger prominent [14]. Gleichwohl können u. E. nach in diesem Spannungsfeld positive Daten [14] im Bereich der Ganzkörper-Vibration erwartet werden [15].
Neben muskuloskeletalen weisen auch Größen, die mit kardiometabolischen Risikofaktoren und Erkrankungen korrelieren, günstige Veränderungen nach WB-EMS Applikation auf [3]. Besonders prominent sind die Auswirkungen auf die gesamte und abdominale Fettmasse. Fast alle vorliegenden Untersuchungen weisen dabei eine Reduktion des Gesamtkörperfetts nach, die etwas höher liegt als die Erhöhung der Muskelmasse [3]. Neben klassischen kardiometabolischen Risikofaktoren (Blutdruck, Blutfette, Glucose) zeigen einige WB-EMS Untersuchungen [17-19] ebenfalls Effekte bei herzinsuffizienten Personen bis hin zu einer höher Auswurfleistung [17, 18].
Hohe Akzeptanz
Zudem zeigten die vorliegenden Untersuchungen mit älteren Menschen keine nennenswerten „unerwünschten“ Nebenwirkungen [3]. Nennenswert ist ebenfalls, dass die Akzeptanz des WB-EMS Trainings durch die Senioren, zumindest in einem eng begleiteten Setting, sehr hoch ist.
Ein ideales und wirksames Tool für ältere Menschen
Insofern erscheint WB-EMS als ideales „Tool“ für ein gesundheitsorientiertes Training des älteren Menschen. Allerdings sind für ein erfolgreiches EMS-Training bei Senioren einige Punkte in besonderem Maße zu beachten. Besonders wichtig für die Anwendung von WB-EMS innerhalb der oft fragilen Gruppe älterer Menschen mit geringem Körpergefühl und fehlender Referenz für Belastungsreize ist die Frage nach Sicherheit und Verträglichkeit.
Eine konsequente Überprüfung und Anwendung von Ausschlusskriterien und medizinischen Kontraindikationen ist dabei obligat. Bei Senioren, die eine ärztliche Freigabe für ein EMS-Training möchten, kann auch der überwiegend nicht WB-EMS kundige Hausarzt über einen Informationsflyer mit Link zu zusätzlichen neutralen Informationsmöglichkeiten in die Lage versetzt werden, eine belastbare Entscheidung pro oder contra WB-EMS zu treffen. Kooperationen zwischen Ärzten und EMS-Anbietern erleichtern die ärztliche Entscheidung durch die Kenntnis der Qualifikation der Einrichtung und deren Personal.
Richtlinien für sichere EMS-Anwendung
Daneben halten wir die Anwendung der WB-EMS Richtlinien [1] nicht nur, aber ganz besonders für Senioren für absolut verbindlich. Zentrales Moment der Richtlinien ist eine sehr enge Betreuung, bei der maximal zwei Übende von einem Therapeuten betreut werden. Ältere weder sport- noch technikaffine Menschen profitieren von dieser sehr engen Betreuung und Interaktion ganz besonders. Insofern ist ein möglichst enger Betreuungsschlüssel nicht nur hinsichtlich der Sicherheit sondern auch der Effektivität ein absolutes Qualitätskriterium.
Großes Potenzial mit hohem Nutzen
Fasst man das sehr hohe Potential und die Besonderheiten eines WB-EMS Trainings mit Senioren abschließend zusammen, verwundert es, dass seniorenspezifische Angebote oder zumindest eine seniorenspezifische Adressierung des bestehenden, z. T. definitiv qualitativ hochwertigen Angebots im gesundheitsorientierten WB-EMS derzeit kaum eine Rolle spielen.
Prof. Dr. Wolfgang Kemmler ist Forschungsdirektor am Institut für Medizinische Physik der Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Der Trainings- und Sportwissenschaftler gilt als ausgewiesener Experte in der trainingswissenschaftlichen Interventionsforschung sowie im Bereich alternative Trainingstechnologien mit Schwerpunkt Ganzkörper-Elektromyostimulation.
Literaturverzeichnis:
1. Kemmler W, Froehlich M, von Stengel S, Kleinöder H. Whole-Body Electromyostimulation – The Need for Common Sense! Rationale and Guideline for a Safe and Effective Training. Dtsch Z Sportmed. 2016;67:218-221.
2. Kemmler W, Shojaa M, Kohl M, von Stengel S. Exercise effects on bone mineral density in older men: a systematic review with special emphasis on study interventions. Osteoporos Int. 2018.
3. Kemmler W, Weissenfels A, Willert S, et al. Efficacy and safety of low frequency Whole-Body Electromyostimulation (WB-EMS) to improve health-related outcomes in non-athletic adults. A systematic review. Frontiers of Physiology. 2018;9:573. :doi: 10.3389/fphys.2018.0057.
4. Muller MJ, Geisler C, Hubers M, Pourhassan M, Braun W, Bosy-Westphal A. Normalizing resting energy expenditure across the life course in humans: challenges and hopes. Eur J Clin Nutr. 2018;72:628-637.
5. Hepple RT, Mackinnon SL, Goodman JM, Thomas SG, Plyley MJ. Resistance and aerobic training in older men: effects on VO2peak and the capillary supply to skeletal muscle. J Appl Physiol (1985). 1997;82:1305-1310.
6. Payne S, Macintosh A, Stock J. Body size and body composition effects on heat loss from the hands during severe cold exposure. American journal of physical anthropology. 2018;166:313-322.
7. Rowland LA, Bal NC, Periasamy M. The role of skeletal-muscle-based thermogenic mechanisms in vertebrate endothermy. Biological reviews of the Cambridge Philosophical Society. 2015;90:1279-1297.
8. Strasser B, Schobersberger W. Evidence for resistance training as a treatment therapy in obesity. Journal of obesity. 2011;2011:http://dx.doi.org/10.1155/2011/482564.
9. Goisser S, Kemmler W, Porzel S, et al. Sarcopenic obesity and complex interventions with nutrition and exercise in community-dwelling older persons--a narrative review. Clin Interv Aging. 2015;10:1267-1282.
10. Kemmler W, Teschler M, Weissenfels A, Fröhlich M, Kohl M, von Stengel S. Ganzkörper-Elektromyostimulationst versus HIT-Krafttraining - Effekte auf Körperzusammensetzung und Muskelkraft. Dtsch Z Sportmed. 2015;66:321-327.
11. Bauer J, Biolo G, Cederholm T, et al. Evidence-based recommendations for optimal dietary protein intake in older people: a position paper from the PROT-AGE Study Group. J Am Med Dir Assoc. 2013;14:542-559.
12. Kemmler W, Grimm A, Bebenek M, Kohl M, von Stengel S. Effects of Combined Whole-Body Electromyostimulation and Protein Supplementation on Local and Overall Muscle/Fat Distribution in Older Men with Sarcopenic Obesity: The Randomized Controlled Franconia Sarcopenic Obesity (FranSO) Study. Calcif Tissue Int. 2018;103:266-277.
13. Kemmler W, Weissenfels A, Teschler M, et al. Whole-body Electromyostimulation and protein supplementation favorably affect Sarcopenic Obesity in community-dwelling older men at risk. The Randomized Controlled FranSO Study. Clin Interv Aging. 2017;12.
14. von Stengel S, Bebenek M, Engelke K, Kemmler W. Whole-Body Electromyostimulation to Fight Osteopenia in Elderly Females: The Randomized Controlled Training and Electrostimulation Trial (TEST-III). Journal of osteoporosis. 2015;2015:643520.
15. Peretti AL, Ciqueleiro RT, Flores LJ, Bertolini GR. Use of whole-body vibration as osteoporosis treatment in postmenopausal women: a systematic review. Eur J Clin Exp Med. 2019;17:146-152.
16. Teschler M, Wassermann A, Weissenfels A, et al. Short time effect of a single session of intense whole-body electromyostimulation on energy expenditure. A contribution to fat reduction? Appl Physiol Nutr Metab. 2018;43:528-530.
17. van Buuren F, Mellwig KP, Frund A, et al. Electromyostimulation: Verbessserung von Lebensqualität, Sauerstoffaufnahme und linksventrikuläerer Funktion bei chronischer Herzinsuffizienz. Rehabilitation. 2014;53:321-326.
18. van Buuren F, Mellwig KP, Prinz C, et al. Electrical myostimulation improves left ventricular function and peak oxygen consumption in patients with chronic heart failure: results from the exEMS study comparing different stimulation strategies. Clinical research in cardiology: official journal of the German Cardiac Society. 2013;102:523-534.
19. Fritzsche D, Fruend A, Schenk S, et al. Elektromyostimulation (EMS) bei kardiologischen Patienten. Wird das EMS-Training bedeutsam für die Sekundärprävention? Herz. 2010;35:34-40.