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Ganzkörper-Elektromyostimulation (EMS-Training) ist ein hochintensives, zeiteffizientes Training, das alle großen Muskelgruppen stimuliert. Der Text erläutert die Vorteile, aber auch Risiken wie Rhabdomyolyse bei unsachgemäßer Anwendung. Wichtige Kontraindikationen werden unterschieden in absolute und relative, um die Sicherheit der Anwender zu gewährleisten. Die Abklärung dieser Kriterien gemäß DIN 33961 – Teil 5 ist unerlässlich für eine effektive und gesunde Durchführung von GK-EMS.
Ganzkörper-Elektromyostimulation (GK-EMS) bezeichnet eine simultane Stimulation aller großer Muskelgruppen (durch mindestens sechs applizierte Stromkanäle) mit einem trainingswirksamen Reiz, welcher Adaptationen auslöst. Sie wird als eine hochintensive und zeiteffiziente Trainingsform sowohl in der Therapie und Prävention als auch im Freizeit- und Breiten- sowie im Leistungssport angewendet (Berger, 2021; Kemmler, Kleinöder & Fröhlich, 2020).
Bei korrekter Applikation stellt GK-EMS eine effektive sowie sichere Trainingsform dar. Aufgrund der großflächigen Anwendung und der simultanen Kontraktion großer Muskelgruppen bringt sie bei missbräuchlicher Durchführung allerdings auch ein gewisses Gefährdungspotenzial mit sich. Die supramaximale Stimulation der einzelnen Körperregionen sowie die daraus resultierende hohe metabolische Belastung für den Organismus kann zu unerwünschten Nebenwirkungen bis hin zu einer Überbeanspruchung führen, welche sich im schlimmsten Fall in einer Rhabdomyolyse (Muskelgewebezerfall) durch eine massive Erhöhung der Kreatinkinase (CK) äußert, was ein Enzym für Muskelschädigungen darstellt (Teschler et al., 2016). Eine adäquate Erhöhung der CK ist generell nach jeder sportlichen Betätigung der Fall. Eine übermäßige Erhöhung durch eine Überbelastung der Muskulatur ist allerdings ein Faktor, den es bei der GK-EMS unbedingt zu vermeiden gilt. Eine zu intensive GK-EMS-Erstapplikation hat in vergangenen Untersuchungen zu einem massiven Anstieg der CK-Werte geführt, woraus geschlossen wurde, dass vor allem die anfänglichen GK-EMS-Trainingseinheiten mit einer verringerten Intensität durchgeführt werden müssen, um den Organismus langsam an die neue Trainingsform zu gewöhnen und einer Rhabdomyolyse vorzubeugen (Kemmler, Fröhlich, Stengel & Kleinöder, 2016).
Wie bei jeder neu aufgenommenen Trainingsform sollte daher der Beginn des GK-EMS-Trainings behutsam und unter Berücksichtigung des aktuellen Gesundheitszustandes der Anwender sowie anhand professioneller Betreuung von ausgebildetem Fachpersonal erfolgen. Bei der GK-EMS gibt es – abgesehen von Aspekten der individualisierten und adäquaten Durchführung – weitere essenzielle Kriterien, welche ausgeschlossen werden müssen, bevor die erste Applikation stattfinden kann (Berger, 2022; Kemmler et al., 2019). Aufgrund der unwillkürlichen Kontraktion der Muskulatur und – bei missbräuchlicher Anwendung – dem daraus resultierenden Gefährdungspotenzial ist GK-EMS nur bedingt mit einem klassischen Kraft- oder Ausdauertraining zu vergleichen. Deswegen scheint eine Formulierung von Leitlinien zur sicheren und effektiven Durchführung von GK-EMS unabdingbar. Erste Handlungsanweisungen in Bezug auf die Anamnese, die Ersteinweisung, das Betreuungsverhältnis sowie die sichere Durchführung des Trainings wurden daher bereits 2016 veröffentlicht (Kemmler et al., 2016). Darauf aufbauend sind in den Prüfkriterien der DIN 33961 – Teil 5 weitergehende formalisierte Regelungen hinsichtlich Kontraindikationen einer GK-EMS-Anwendung aufgeführt. Diese sollen als Orientierungshilfe in der täglichen Praxisroutine dienen, indem Ausschlusskriterien für ein GK-EMS-Training definiert werden.
Bei den Kontraindikationen wird zwischen relativen und absoluten Kontraindikationen differenziert (Kemmler et al., 2019). Beim Vorliegen absoluter Kontraindikationen ist eine GK-EMS-Applikation aufgrund einer akuten Gefährdung der Trainierenden grundlegend abzulehnen, da es zu physischen Beeinträchtigungen kommen kann, welche maßgeblich gesundheitsbeeinträchtigend sind. Somit wäre eine GK-EMS-Anwendung mit zu hohen Risiken verbunden und aufgrund der Sorgfaltspflicht gegenüber Kunden/Patienten unter keinen Umständen durchzuführen.
Die absoluten Kontraindikationen sind ebenso wie die später noch thematisierten relativen Kontraindikationen im Vorfeld des ersten GK-EMS-Trainings zu überprüfen und in einem gesonderten Anamnesebogen zu archivieren. Nach DIN 33961 – Teil 5 gelten folgende Faktoren zu den absoluten Kontraindikationen:
Relative Kontraindikationen beschreiben Indikationen, welche vor der Durchführung eines GK-EMS-Trainings fachärztlich abgeklärt werden müssen oder die Anwendung an bestimmten Körperregionen ausschließen. Sie sind keine generellen Ausschlusskriterien für ein GK-EMS-Training und lassen einen gewissen Interpretations- und Handlungsspielraum offen, was in der praktischen Umsetzung allerdings zu Unsicherheiten führen kann. Zu den relativen Kontraindikationen zählen nach DIN 33961 – Teil 5 die folgenden Faktoren:
Die teilweise weit gefassten und nicht trennscharf formulierten relativen Kontraindikationen sollen nicht zur Abschreckung von Kunden/Patienten dienen, da Indikationen im Vorfeld mit ärztlichem Fachpersonal abgeklärt werden müssen. Vielmehr dienen sie dem Schutz: Es sollen gravierende Gesundheitsbeeinträchtigungen erfasst werden um festzustellen, ob diese einen direkten Einfluss auf die Belastbarkeit der Trainierenden haben könnten. So wird ein sicheres und effektives GK-EMS-Training gewährleistet. Erkrankungen oder Schmerzepisoden, die schon länger zurückliegen, stellen keine akuten Beeinträchtigungen dar. Die Entscheidung, ob eine ärztliche Freigabe eingefordert wird oder nicht, hängt letztendlich von der Gesamtanamnese einzelner Personen bzw. der Gesamtbeurteilung ihres Gesundheitszustands und der Einschätzung ihrer Belastbarkeit ab.
Liegen nur geringfügige oder schon länger zurückliegende Beeinträchtigungen vor, so müssen diese nicht zwingend zu einer Einstufung als relative Kontraindikation führen. Neuralgien (Schmerzen im Versorgungsgebiet eines Nervs) oder Bandscheibenvorfälle sind z. B. nur in der akuten Phase relative Kontraindikationen, da sie zu einer Beeinträchtigung des Funktionszustandes führen, wodurch die Durchführung der Intervention nicht uneingeschränkt möglich ist.
Relative Kontraindikationen wie Ödembildungen (Flüssigkeitsansammlung im Körper) oder Bewegungskinetosen (Schwindel bei Bewegung) stellen Symptome dar, deren Ursache ohne eine ärztliche Abklärung meist unbekannt ist. Diese Ursachen können harmlos sein; sie könnten allerdings auch ein Leitsymptom einer schwerwiegenden Erkrankung darstellen. Daher ist die fachärztliche Abklärung unabdingbar, um ein sicheres und effektives GK-EMS-Training durchführen zu können. Hierbei sollte allerdings darauf geachtet werden, dass die Abfrage potenziell vorliegender relativer Kontraindikationen den gesundheitlichen Nutzen der GK-EMS-Anwendung gegenüber den Risiken der Erkrankungen abwägt, sofern dies im Verantwortungs- und Kompetenzbereich des Trainers bzw. Therapeuten stattfindet. Das Ziel der Abfrage sollte nicht darin bestehen, gesundheitliche Beeinträchtigungen mit geringer Ausprägung zu dramatisieren, indem diese als relative Kontraindikation eingestuft werden und ein GK-EMS-Training nur nach ärztlicher Freigabe erfolgen darf.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Abfrage von absoluten sowie relativen Kontraindikationen gemäß DIN 33961 – Teil 5 die effektive und sichere Trainingsdurchführung unterstützt und sowohl für den Kunden/Patienten als auch für den Trainer/Therapeuten von großem Vorteil ist.
Dr. Joshua Berger arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent im Fachbereich Fitness/Individualtraining an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und als Referent an der BSA-Akademie. Seit 2017 ist er Mitglied im EMS-Fachkreis, der sich mit aktuellen Themen rund um EMS-Training sowie mit praktischen Leitlinien für den konventionellen Gebrauch befasst.
Prof. Dr. Christoph Eifler leitet den Fachbereich Trainings- und Bewegungswissenschaft der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) sowie den Fachbereich Fitness der BSA-Akademie. An der DHfPG erfüllt er zudem das Amt des Prorektors für Forschung.
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