Richtlinien zur optimalen Anwendung von Ganzkörper-EMS

Wissenschaft

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Erfahren Sie, wie nationale und internationale Sicherheitsstandards wie die DIN-Norm 33961-5 und die Leitlinien die sichere und effektive Anwendung von Ganzkörper-EMS gewährleisten. Entdecken Sie, warum klare Normen und wissenschaftlich fundierte Richtlinien essenziell für Prävention und Therapie im Einsatz von EMS-Training sind – und das weltweit.

Die Anwendung der Ganzkörper-Elektromyostimulation (EMS) erfordert ein hohes Maß an Sicherheit, da diese Technologie die Muskulatur intensiv stimuliert. In den letzten Jahren haben wissenschaftliche Studien die notwendigen Maßnahmen zur sicheren und effektiven Anwendung weiter konkretisiert. Zusätzlich zur nationalen Normung in Deutschland gewinnt die Internationalisierung der Sicherheitsstandards zunehmend an Bedeutung.

Bereits 2017 wurden in Zusammenarbeit führender Trainingswissenschaftler der Universitäten Köln, Kaiserslautern und Erlangen Sicherheitsrichtlinien entwickelt, um klare Standards für Anwender, Betreiber und Trainer zu schaffen. Diese wurden 2019 in die deutsche Norm-DIN 33961-5 integriert.  Sie gewährleistet durch die klare Vorgabe der Interaktion zwischen Trainern und Nutzern die notwendige Kontrolle und minimiert Risiken wie eine Rhabdomyolyse, eine schwerwiegende Muskelschädigung.

Mit der global wachsenden Popularität von Ganzkörper-EMS wird die Bedeutung internationaler Standards zunehmend klar. Das internationale Positionspapier von Kemmler et al. (2023), veröffentlicht in Frontiers in Physiology, setzt einen Meilenstein in der Harmonisierung sicherer EMS-Anwendungen. Eine Forschergruppe, bestehend aus 20 Experten aus Deutschland, Spanien, den USA und anderen Ländern, hat umfassende Leitlinien für eine sichere und effektive Nutzung von Ganzkörper-EMS erarbeitet, die sowohl wissenschaftlich fundiert sind als auch praktische Empfehlungen für die Anwendung bieten.

Das Papier betont die Potenziale von EMS in Prävention und Rehabilitation, wenn strenge Sicherheitsstandards eingehalten werden. Es unterstreicht zudem die Bedeutung einer fundierten Ausbildung für EMS-Trainer, um Effektivität und Sicherheit zu gewährleisten. Die Kombination nationaler Normen, wie der DIN 33961-5, mit den internationalen Leitlinien schafft eine zuverlässige Grundlage für die sichere Anwendung von EMS und stärkt das Vertrauen in seine gesundheitlichen Vorteile.

Diese Entwicklungen markieren einen entscheidenden Schritt zur Etablierung von Ganzkörper-EMS als sichere und effektive Methode in Prävention und Therapie – sowohl in Deutschland als auch weltweit.

Ganzkörper-Elektromyostimulation – eine Richtlinie zur sicheren und effektiven Anwendung

Definition

Ganzkörper-EMS ist eine simultane Stromapplikation über mindestens sechs Stromkanäle mit Beteiligung aller großer Muskelgrupppen sowie mit einem Stromimpuls, dessen Reizhöhe trainingswirksam ist und Adaptationen auslöst.

Generell gilt:

  1. Ein sicheres und effektives Ganzkörper-EMS-Training muss immer mit Begleitung eines ausgebildeten und lizenzierten EMS-Trainers durchgeführt werden.
  2. Ein Trainer darf maximal 2 Trainierende gleichzeitig betreuen. Bei jedem Neueinsteiger muss vor dem ersten Training eine Anamnese mit schriftlicher Abfrage der Kontraindikationen stattfinden. Diese wird schriftlich dokumentiert, durch die Unterschrift des Kunden und des Abfragenden bestätigt und archiviert. Bei relevanten Auffälligkeiten darf das Training erst nach ärztlicher Freigabe durchgeführt werden.

Vorbereitung auf das Training:

  1. Wie bei jedem intensiven Körpertraining ist darauf zu achten, dass das Ganzkörper-EMS-Training nur in guter körperlicher Verfassung und ohne Schmerzen durchzuführen ist. Dies beinhaltet einen Verzicht auf Alkohol, Drogen, Stimulanzien / Muskelrelaxantienten oder erschöpfende Belastung im Vorfeld. Besonders bei fiebrigen Erkrankungen sollte von einem Training komplett abgesehen werden.
  2. Ganzkörper-EMS-Training führt über den sehr hohen Umfang an beanspruchter Muskelmasse zu einer sehr hohen metabolischen Belastung des Organismus. Diesem Zustand ist durch eine ausreichende möglichst kohlenhydratreiche Nahrungsaufnahme im Vorfeld Rechnung zu tragen. Falls dies nicht realisiert werden konnte, sollte möglichst ein kohlenhydratreicher, aber nicht belastender Snack (≈250 kcal) idealerweise ca. 2 Stunden vor dem Training eingenommen werden.
  3. Um einer möglichen Nierenbelastung (insb. bei unbekannter Vorschädigung) durch intensive WB-EMS-Applikation entgegenzuwirken, ist auf eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr (je 500 ml) vor/während und nach dem Training zu achten.

Durchführung des Trainings:

  1. Unabhängig vom körperlichen Status, Sportvorerfahrung und dem entsprechenden Wunsch des Anwenders darf in keinem Fall ein ausbelastendes WB-EMS-Training während der ersten Trainingssession bzw. einem Probetraining stattfinden. Besonders diese Vorgehensweise führte in der Vergangenheit zu unerwünschten Nebenwirkungen und negativen gesundheitlichen Konsequenzen und hat somit unbedingt zu unterbleiben.
  2. Nach moderater initialer WB-EMS-Applikation muss die Reizhöhe bzw. Stromstärke sukzessive gesteigert und den individuellen Zielen angepasst werden. Frühestens nach 8 - 10 Wochen systematischen Trainings darf die höchste Ausprägung stattfinden (subjektive Belastungseinschätzung des Anwenders: schwer-schwer+). Ein komplett ausbelastendes Training insbesondere im Sinne eines schmerzhaften, stetigen Tetanus während der Stromphase muss generell vermieden werden.
  3. Daneben sollte das Ersttraining mit reduzierter effektiver Trainingszeit stattfinden. Empfohlen wird eine Impulsgewöhnung über 5 Minuten sowie ein verkürztes Training mit moderater Reizintensität (subjektive Belastungseinschätzung des Anwenders: etwas schwer) und intermittierender Belastung mit kurzer Impulsphase (≈) über 12 min. Die Trainingsdauer sollte erst im Anschluss vorsichtig gesteigert werden und schließlich maximal 20 Minuten Trainingsdauer betragen.
  4. Um eine ausreichende Konditionierung zu gewährleisten und mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen zu minimieren bzw. auszuschließen, darf die Trainingshäufigkeit während der ersten 8 - 10 Wochen eine Trainingseinheit pro Woche nicht übersteigen.
  5. Auch nach dieser Konditionierungsphase muss ein Abstand von ≥ 4 Tagen zwischen den Trainingseinheiten eingehalten werden, um einer Akkumulation von Muskelzerfallsprodukten vorzubeugen, Regeneration und Anpassung zu sichern und somit den Trainingserfolg zu gewährleisten.

Sicherheitsaspekte während und nach dem Training:

  1. Der Trainer bzw. das geschulte und lizensierte Personal hat sich während der Trainingssession ausschließlich um die Belange des / der Anwender zu kümmern. Vor, während und nach dem Training überprüft der Trainer verbal und per Augenschein den Zustand des Trainierenden, um gesundheitliche Risiken auszuschließen und ein effektives Training zu gewährleisten. Bei möglichen Kontraindikatoren ist das Training sofort abzubrechen.
  2. Der Abstand zwischen Trainer und Trainierendem sollte nur soweit sein, dass der Trainer den Trainierenden visuell kontrollieren, sich mit dem Trainierenden ohne größere räumliche Distanz verbal austauschen und innerhalb einer Sekunde erreichen kann.
  3. Zur Steuerung der Stromintensität müssen pro Stromkanal respektive Muskelgruppen mindestens dreimal während einer Trainingseinheit (i.d.R. 20 Minuten Trainingsdauer) eine verbale Abfrage der individuellen Beanspruchung und gegebenenfalls eine Nachjustierung der Stromintensität erfolgen. Nur so kann auf der einen Seite eine trainingswirksame Reizintensität gewährleistet und auf der anderen Seite die Gefahr einer Überbelastung minimiert werden.
  4. Während des Trainings sind die Bedienelemente des Gerätes für den Trainer und auch für den Trainierenden jederzeit direkt erreichbar. Die Bedienung / Regelung muss einfach, schnell und präzise erfolgen können.

Fazit:

Innerhalb der vorliegenden Richtlinien haben wir ausschließlich betreutes WB-EMS adressiert. Tatsächlich war es allgemeiner Konsens, dass eine sichere und effektive WB-EMS-Applikation ausschließlich in diesem Setting gewährleistet bzw. garantiert werden kann. Von der privaten Nutzung der Technologie ohne Begleitung durch einen ausgebildeten und lizensierten Trainer/Betreuer oder entsprechend wissenschaftlich geschultes Personal raten wir somit ausdrücklich ab. In diesem Zusammenhang sehen wir auch die Vorgehensweise von einigen Anbietern kritisch, den Betreuungsschlüssel auf ein Maß zu erhöhen, dass auch bei Berücksichtigung der technischen Entwicklung und Trainerausbildung ein individualisiertes und somit sicheres und effektives Training nicht mehr zulässt.


Prof. Dr. Michael Fröhlich

Michael Fröhlich ist Professor für Sportwissenschaft an der TU Kaiserslautern. Hauptforschungsgebiete: Bewegungs- und Trainingswissenschaft, Gesundheitsthemen, Interventionsforschung. Er ist Mitglied in mehreren wissenschaftlichen Vereinigungen und Gutachter für zahlreiche nationale und internationale Zeitschriften.

Jens Vatter

Jens Vatter ist Diplom Sportökonom und hat den Master of Science in Health and Fitness. Er ist wissenschaftlicher Berater für EMS-Training und zählt zu den Pionieren der EMS-Trainingslehre. Als international gefragter Ausbilder und Dozent schult er Trainer und Master Trainer auf der ganzen Welt.

Stephan Müller

Stephan Müller ist Sportphysiotherapeut, Sportlehrer und Ernährungsberater. Als Inhaber des GluckerKollegs trägt er seit Beginn des EMS-Marktes maßgeblich zur professionellen Ausbildung von Trainern bei. Das GluckerKolleg ist national und international die führende Anlaufstelle für die Ausbildung von EMS-Trainern.

Prof. Dr. Wolfgang Kemmler

Prof. Dr. Wolfgang Kemmler ist Forschungsdirektor am Institut für Medizinische Physik der Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Der Trainings- und Sportwissenschaftler gilt als ausgewiesener Experte in der trainingswissenschaftlichen Interventionsforschung sowie im Bereich alternative Trainingstechnologien mit Schwerpunkt Ganzkörper-Elektromyostimulation.

Dr. Heinz Kleinöder

Dr. Heinz Kleinöder ist seit 1990 Dozent an der Deutschen Sporthochschule Köln und leitet seit 2003 die Abteilung Kraftdiagnostik und Bewegungsforschung. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Diagnostik konditioneller Fähigkeiten im Leistungssport sowie im Kraft- und Techniktraining mit klassischen und innovativen Methoden, mit umfangreicher Forschung und praktischen Anwendungen in verschiedenen Sportarten.


Literaturverzeichnis:

Kemmler W, Fröhlich M, Ludwig O, Eifler C, Von Stengel S, Willert S, Teschler M, Weissenfels A, Kleinöder H, Micke F, Wirtz N, Zinner C, Filipovic A, Wegener B, Berger J, Evangelista A, D’ottavio S, Sara JDS, Lerman A, Perez De Arrilucea Le Floc’h UA, Carle-Calo A, Guitierrez A and Amaro-Gahete FJ (2023) Corrigendum: Position statement and updated international guideline for safe and effective whole-body electromyostimulation training-the need for common sense in WB-EMS application. Front. Physiol. 14:1207584. doi: 10.3389/fphys.2023.1207584

DIN 33961-5:2023-09 Fitness-Studio - Anforderungen an Studioausstattung und -betrieb - Teil 5: Elektromyostimulationstraining (EMS-Training)

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